home
Kontakt
Möchten Sie ein mit unseren Produkten realisiertes Projekt einreichen, haben Sie Fragen oder Anregungen? Melden Sie sich über portal@hoermann.de
Abo
Möchten Sie zukünftig alle PORTAL Ausgaben kostenfrei per Post erhalten? Registrieren Sie sich hier.
share
Neulich in ...

München

Namen lernen? Kein Problem. Abstrakte Zahlenkombinationen behalten? Routine. Simon Reinhard ist amtierender deutscher sowie europäischer Gedächtnismeister – und kann doch auch vergessen.

Wie sind Sie zum Gedächtnissport gekommen?

2005 – noch während meines Studiums – war ich unzufrieden damit, an einem Tag etwas zu lernen, nur um am nächsten Tag die Hälfte wieder vergessen zu haben. Im Internet recherchierte ich nach Lerntechniken, fand aber oft nur Verweise auf diverse Schnelllese-Techniken. Dann las ich jedoch auf www.memoryxl.de Berichte über die „Süddeutschen Gedächtnismeisterschaften“ und „Mnemotechniken“. Das klang interessant, aber ich blieb zunächst skeptisch. Wahrscheinlich hätte ich das Thema schnell wieder abgehakt, wenn es auf der Webseite nicht eine kostenlose Trainingssoftware gegeben hätte, in der man sich alles Mögliche auf Zeit merken muss: Ziffern, Wörter, Namen, Gesichter. Das erste Level war sehr einfach: fünf Ziffern in fünf Minuten. Doch der Schwierigkeitsgrad stieg nach und nach. Ich machte weiter – bis ich irgendwann die Highscores erreichte. Das hat mich noch mehr angestachelt. Ich wollte sehen, ob ich mich auch ohne diese obskuren Techniken mit den anderen Teilnehmern messen konnte. Mit Namen und Gesichtern ging das noch ganz gut. Die konnte ich mir als Kind schon gut merken – meine Eltern haben mich damals schon immer nach Namen von Moderatoren und Schauspielern gefragt, wenn sie ihnen selbst nicht mehr eingefallen sind. Aber je höher ich im Highscore kam, desto mehr stieß ich auf „Roadblocks“, an denen ich mit normalem „Merken“ einfach nicht vorbeikam. Vom Ehrgeiz getrieben, war ich nun bereit, diese „Mnemotechniken“ auszuprobieren, von denen auf der Homepage die Rede war. Und es hat gleich gut geklappt. Irgendwann schlug mir die Software aufgrund meines erreichten Levels vor, mich bei einem regionalen Gedächtnis-Turnier anzumelden. Meine Neugier war geweckt, und ich nahm 2005 in Nördlingen an der Süddeutschen Meisterschaft teil. Mir hat es gefallen. Die Leute dort waren sehr angenehm, haben sich offen ausgetauscht, und alles war sehr kollegial. Und so kam eins zum anderen: Ich nahm an weiteren Turnieren teil, gewann recht bald mein erstes und wurde schließlich deutscher Meister und 2014 und 2016 sogar Weltmeister im „Memory-League“-Format. Dort liefern sich zwei Kontrahenten ein digitales Merkduell – was übrigens auch für Zuschauer spannend anzusehen ist. Aktuell bin ich deutscher Meister und Europameister und will den Sport sicher noch lange machen.

Im Kino und ab Frühjahr auf dem heimischen Fernseher: Memory Games.
Spanish Open 2016.
World Memory Championships 2015 in Chengdu, China.

Und nun? Wie ist so ein Leben, ohne vergessen zu können?
Nicht vergessen können wäre schlimm. Vergessen ist ein elementarer Teil des Lebens. Ich würde mein Leben eher als eines bezeichnen, in dem ich mir problemlos das merken kann, was ich mir merken will. Keine Nervosität vor öffentlichen Auftritten, entspannte Kundengespräche, mehr Ordnung im Kopf, mehr Übersicht im Alltag. Es ist schön, wenn man sich das alles mit etwas Übung selbst erarbeiten kann.

Das heißt, es ist ausschließlich eine Frage der Technik?
Das ist eine recht knifflige Frage. Allgemein gilt sicher: Lernen kann diese Technik absolut jeder. Und auch so, dass sie effektiv, schnell und nützlich im Alltag angewendet werden kann. Fortschritte kommen schnell – wenn man dranbleibt. Ein Vergleich: Jeder kann Autofahren lernen und damit dann Entfernungen bewältigen, die sonst nicht zu schaffen wären. Dafür muss man aber kein Rennfahrer werden. Ob man es dann bis in die Formel 1 schafft, ist sicher eine Frage des Talents. Ist man dann in der absoluten Weltspitze angelangt, sind die Unterschiede wiederum nur noch sehr gering. Gegenwärtig befinde ich mich in der Weltrangliste auf Platz 3. Vor mir liegen ein Inder und eine Mongolin. Auch auf Platz 4 und 5 sind zwei Mongolinnen. Dass dieses – zumindest von der Bevölkerungszahl – kleine Land so stark vertreten ist, liegt mit Sicherheit an der hochprofessionellen Akademie dort, nicht an genetischen Voraussetzungen. Wir alle haben individuell unterschiedliche Stärken und Schwächen. Mir liegt zum Beispiel das Merken von Wörtern sehr, in dieser Disziplin hielt ich auch lange den Weltrekord. Es gibt also gewiss kleine Unterschiede in den Fähigkeiten. Aber für den Gebrauch in Beruf, Schule und Studium – und darum geht es ja – kann absolut jeder mit der richtigen Anleitung seine Merkfähigkeiten dauerhaft verbessern.

Wie können wir uns eine solche Technik vorstellen?
Wissen Sie noch, was Sie in ihrem letzten Urlaub gemacht haben? Nicht jede Einzelheit, aber denken Sie zum Beispiel mal an das Hotel, vielleicht an den Speisesaal oder an die Bar: Das sind bestimmt nicht einfach menschenleere Räume, die da vor Ihrem geistigen Auge erscheinen, sondern es ereignet sich dort etwas. Und zwar fast immer das, was man dort selbst erlebt und gesehen hat. Man hat also Zugriff auf diese Erinnerungen – wenn man an den Ort denkt, an dem man sie erlebt hat. Ein zentraler Punkt, denn Wissenschaftler haben herausgefunden, dass schon in der Urzeit das Verbinden von Orten und Informationen eine grundlegende Gehirnfunktion war. Sie diente schon damals der Orientierung und dem Finden von geeigneten Plätzen für Jagd und Unterkunft. Was passiert also, wenn wir Gedächtnistechniken anwenden? Wir machen uns zunutze, dass es dem Gehirn eigentlich egal ist, ob man sich im Augenblick an dem besagten Ort befindet oder ob es sich um einen Ort handelt, an dem wir uns nur vorstellen zu sein. Information wird damit semiautomatisch in beiden Fällen verknüpft – und zwar am besten, wenn man sie vor dem geistigen Auge klar sehen kann, also wenn sie bildlich ist. Bleibt die Frage, wie ich das, was ich mir merken will, in bildliche Form bekomme. Und das ist einfach Übungssache. Informationen, die man sich merken will, werden verbildlicht und dann mit einem Ort verknüpft, den man kennt. Nächste Information, nächster Ort. Die Orte legt man sich vorher zurecht und nimmt am besten solche, die man gut kennt. Klingt kompliziert? Einfach versuchen oder zeigen lassen: Es öffnet einem wirklich die Augen, was mit dieser Technik alles machbar ist.

Funktionieren diese Techniken nur für das Kurzzeitgedächtnis?
Das kann man sich vorstellen wie zwei Fotos, die unterschiedlich schnell verblassen: Das „normale“ Gedächtnis ist wie ein Polaroid, das schon nach kurzer Zeit ausgeblichen ist. Dagegen ist das „trainierte“ Gedächtnis ein Farbdruck mit hochwertiger Oberflächenbeschichtung. Doch auch dieses Bild verblasst mit der Zeit. Und das ist auch gut so, sonst hätte ich bei den Meisterschaften nämlich ein kleines Problem: Wie eben beschrieben, nutzen wir als eine unserer Haupttechniken Wege, auf denen wir Informationen bildlich mit bestimmten Orten verknüpfen. Wenn diese Orte nach einer Meisterschaft dauerhaft belegt wären, müsste ich mir ständig neue Wege suchen. So kann ich gut immer wieder mit meinem bestehenden „Fundus“ an Orten arbeiten.

Wie lange bräuchten Sie, sich Pi bis zu Millionsten Stelle hinter dem Komma zu merken?
Aus dem Stegreif schaffe ich es bis zur fünften. 3,14159. Bis zur millionsten Stelle hinter dem Komma dürfte es etwas dauern: Rund 5000 Ziffern sollte ich pro Tag aber schaffen.

Und wie sieht es mit komplexeren Dingen aus wie ganzen Texten? Könnten Sie – rein theoretisch – Shakespeares gesammelte Werke rezitieren?
Ja, wenn ich wollte und mir die Zeit dafür nehmen würde. Texte bestehen letztlich auch nur aus Hauptinformationen und Details. Man liest sie sich durch, zunächst auf „normale“ Weise, ohne Techniken, damit man sich ganz auf den Inhalt konzentrieren kann. Und dann wählt man einige Stichwörter, verbildlicht diese und nutzt die Orte. Das funktioniert auch sehr gut der Reihe nach. Ähnlich läuft es für viele komplexe Informationsarten. Letztlich ist es entscheidend, wieviel Erfahrung man in der Anwendung hat. Die Techniken selbst sind auf den ersten Blick einfach gestaltet, aber die Anwendung ist sehr flexibel und kann in viele Richtungen gehen. Von außen betrachtet, ist Malen auf den ersten Blick auch nur das Auftragen von Farbe auf Leinwand mit einem Pinsel, aber wenn man es dann selbst versucht, tun sich ganze Welten an Möglichkeiten auf.

Haben Ihre Fähigkeiten Auswirkungen auf andere, stark methodische Denksportarten?
Ich liebe Schach, das ist eines meiner leidenschaftlichen Hobbys. Ich nutze auch dort die Gedächtnistechniken mit großem Gewinn, insbesondere zum Merken von Eröffnungen, und seit kurzem sogar, um Variantenberechnungen besser zu strukturieren und so Zeit zu sparen. Ich habe auch vor, dazu bald Kurse anzubieten. Interesse ist durchaus vorhanden.

Kann ich mir auf diese Art (beiläufig) auch die Namen neuer Geschäftspartner merken?
Ja, das geht. Und zwar indem man Informationen, die für sich genommen keine feste Bedeutung haben, mit Bekanntem verbindet: Wenn man nicht gerade den etymologischen Ursprung eines Namens kennt, kann man sich zum Beispiel ein Wort suchen, das ähnlich klingt: Thomas / Tomate ist sozusagen das „Schulbeispiel“. Dann sucht man im Gesicht der Person, die sich gerade als Thomas vorgestellt hat, eine Gemeinsamkeit mit den Eigenschaften einer Tomate, wie zum Beispiel rötliche Backen oder rote Haare, rote Krawatte – ein rundlicher Kopf reicht auch. Und das ist dann die Gedächtnisstütze, wenn man die Person wiedertrifft. Auch diese „Codierung“ wird besser und schneller mit Übung. In einer kurzen Gesprächspause wiederholt man das Namensbild nochmals, während des Gesprächs merkt man sich die anderen Informationen auf bewährte Art.

Sie lehren diese Techniken auch auf Seminaren. Was können Ihre Kunden da erwarten?
Ich gehe den Aufbau flexibel an. Zunächst frage ich meine Kunden: Was erwarten Sie für Ihre Mitarbeiter und für sich selbst? Was wollen Sie erreichen, wo sehen Sie Bedarf? Drumherum strukturiere ich dann das Seminar. Die übliche Länge ist ein bis zwei Tage, da kann man schon gute Fortschritte erzielen. Nach der Einführung und den Grundlagen geht es schnell ans Eingemachte: Basierend auf dem vorbereitenden Gespräch, zeige ich jedem, wie die Techniken für die konkreten Aufgaben im eigenen Job ideal angewendet werden. Wenn es eher ein kompakteres Format sein soll, biete ich auch unterhaltsame, motivierende und zugleich lehrreiche Vorträge an, die rund eine Stunde dauern. Egal ob Seminar oder Vortrag: Das Hauptthema ist immer „Effizienzsteigerung durch besseres Merken“. Denn wer Zeit und Energie spart, wird mehr erreichen und hat mehr Spaß an dem, was er tut. Und das wollen wir doch alle.

Versuchen Sie es selbst: Wie viele Zahlen können Sie sich merken?

Simon Reinhard

Simon Reinhard
geboren 1979 in München, DE
studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Anschließend arbeitete er einige Jahre in verschiedenen international tätigen Kanzleien, überwiegend im Immobilienrecht. Seit 2015 nutzt er seine Erfahrungen als einer der besten Gedächtnissportler der Welt dazu, Seminare zum Gedächtnistraining anzubieten. Zudem ist er als Keynote Speaker zum Thema Gedächtnis, Motivation und Peak Performance unterwegs. Aktuell ist Simon Reinhard als Protagonist im Dokumentarfilm „Memory Games“ im Verleih von „Neue Visionen“ zu sehen.
www.simonreinhard.com
www.memorygamesfilm.com

alle Themen
keyboard_arrow_up
News
Kataloge
Mediacenter
Texte / CAD / BIM
Architektenberatung