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Neulich in ...

Köln

Denis Scheck ist als Moderator der ARD-Sendung Druckfrisch so beliebt wie als Literaturkritiker gefürchtet. Eins kann man ihm nicht absprechen: Er hat eine fundierte Meinung – und das auch zur Architektur. 

Sie lesen viel – wie viel Raum bleibt für die anderen schönen Künste?
Leider nicht so viel, wie ich mir wünschte. Ich bin ja etwa die Hälfte des Jahres auf Reisen und versuche, möglichst oft ins Theater und die Oper, in Ausstellungen, ins Kino und ins Konzert zu gehen. Ohne Input kein Output …

Sie behaupten, dass man kein erfülltes und reiches Leben führen könne, wenn man nicht liest. Gilt das nicht für alle schönen Künste?
Im Grunde schon. Wenngleich ich lügen müsste, wenn ich behauptete, mir nicht ein Leben ohne Ballett vorstellen zu können – John Cranko und Pina Bausch hin und her. Ich finde die Kritiken von Wiebke Hüster oft spannender als die Aufführungen selbst. Aber auch hier gilt die Einsicht Georg Christoph Lichtenbergs: Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, muss das nicht unbedingt am Buch liegen.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Architektur – insbesondere zu kulturellen Bauten? Sind Sie da ebenso kritisch wie in Ihrer Sendung? Schließlich sind Sie auch als Laie dazu verpflichtet, Architektur wahrzunehmen.
Man kann nicht in Köln leben, ohne gelegentlich mit dem Gedanken zu spielen, sich wie Ödipus die Augen auszustechen. Die Kölner sind zwar die freundlichsten und liebenswertesten Menschen Deutschlands, Köln selbst aber bedeutet die tägliche Konfrontation mit unfassbarer Hässlichkeit: der Bahnhof, die Domplatte, die Nordsüdfahrt, das Stadthaus, die Tumbheit und Phantasielosigkeit all der grauenhaften Zweckbauten, etwa dieser blaue Müllsack, der angeblich ein Musicaltheater sein soll, das Miese, Abgeschmackte und Bedrückende schlägt einem auf die Seele – von der Korruptheit ganz zu schweigen. Schlimmer ist eigentlich nur noch das Eigenblutdoping der Eingeborenen, die in dem Wahn leben, ihre stadtgroße Desaster Area sei die schönste Stadt der Welt. Da kommen selbst mir Zweifel am Wert der Aufklärung …

Nicht Köln, sondern Lübeck: der romantische Hof des Günter-Grass-Hauses.
Beeindruckend: Die Ausstellung im Günther-Grass-Haus in Lübeck.
Hölerlin lebte lange Zeit in diesem Tübinger Turm.
T.C. Boyle - Die Frauen (dtv)

Ein Kriterium Ihrer Literatur-Auswahl zu Ihrem Buch „Schecks Kanon“ ist die Lust auf Provokation. Darf Architektur auch provozieren?
Sie muss es sogar.

Für den Bau von ikonenhaften Museen und Konzerthäusern werden Unmengen an Geld ausgegeben – ist das in Ihren Augen gerechtfertigt?
Aber selbstverständlich. Was wollen Sie denn sonst mit der Sore anstellen? U-Boote kaufen? Oder wie in Entenhausen Geldspeicher für Dagobert Duck bauen?

Was halten Sie von Literaturmuseen? Welches können Sie unseren Lesern empfehlen?
Es gibt ganz wunderbare und sehr unterschiedliche Möglichkeiten, Literatur im Raum lebendig werden zu lassen. Sehr begeistert hat mich das kleine Günter-Grass-Haus in Lübeck, das mit einer innovativen Virtual-Reality-Führung die „Blechtrommel“ lebendig werden lässt. Total unterschätzt ist das Gleimhaus in Halberstadt. Natürlich muss man im Hölderlin-Jahr mal einen Blick aus dem Tübinger Turm auf den Neckar geworfen haben. Und was kann es Schöneres geben, als an die Säulen des Literaturarchivs der Moderne in Marbach gelehnt, eines Chipperfield-Baus, ein Glas kalten Trollinger zu genießen?

Sie bezeichnen Literatur als Sehhilfe. Fallen Ihnen besonders gelungene Beschreibungen von Architektur ein?
Spontan fallen mir da Dickens, Fontane und Kafka ein, auch James Joyce im „Ulysses“. Tatsächlich haben die Entenhausen-Comics von Carl Barks und „Tintin“ von Hergé mein Auge sicher geprägt. Max Frisch beweist eher, dass man ein mittelmäßiger Architekt und gleichzeitig ein herausragender Autor sein kann. Der Italiener Matteo Pericoli hat an der Columbia University einen Kurs unterrichtet, in dem er seine Studenten ein architektonisches Modell ihrer Lieblingstexte bauen ließ – da bin ich neulich in der "New York Times" drüber gestolpert und war von den Ergebnissen sehr verblüfft – wirklich inspirierend: LabLitArch.

Fällt Ihnen ad hoc ein Buch ein, das perfekt zum Stereotyp des Architekten passt? Welches ist das – und warum?
Paul Scheerbart war ja für Bruno Taut sehr wichtig, „Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß“ harrt unbedingt einer Wiederentdeckung. Wer’s moderner mag, ist mit T. C. Boyles Frank-Lloyd-Wright-Roman „Die Frauen“ gut bedient. Boyle wohnt ja in einem Holzhaus von Frank Lloyd Wright.

Welche Rolle spielen die kleinen, gut sortierten Buchläden in einer Stadt, und haben sie noch eine Zukunft?
Diese Buchhandlungen sind „Tankstellen des Geistes“, wie Helmut Schmidt einmal Bibliotheken nannte – sie tragen sehr viel zur Lebensqualität unserer Innenstädte bei und sind nicht nur in Woody-Allen-Filmen Orte, wo man Menschen kennenlernen kann, mit denen man später vielleicht mal Tisch und Bett teilen möchte.

Stefan Zweig "Die Schachnovelle" - Projekt von Eloísa Díaz in Kooperation mit Chelsea Hyduk
Yonathan Raz Portugali "Notes from the municipal archives" – Projekt von Hadar Porat, Alexandra Topaz, Naomi Niddam, Sonja Dickow
J.M. Coetzee "Disgrace" - Projekt von Joanne Yao in Kooperation mit Chelsea Hyduk
Gebaute Lieblingstexte: E. B. White "The Door" – Projekt von Mays Albeik.

Denis Scheck

Denis Scheck
geboren 1964 in Stuttgart,
wurden Bücher vermutlich in die Wiege gelegt. Denn schon im Alter von 13 Jahren gründete er seine eigene Literaturzeitschrift namens „Newsland“. Später studierte er Germanistik, Zeitgeschichte und Politikwissenschaft an den Universitäten Tübingen und Düsseldorf sowie an der University of Texas in Dallas. Anschließend arbeitete er als Literaturagent, Übersetzer und Herausgeber. Als Moderator trat er unter anderem in der Radiosendung „Büchermarkt“ im Deutschlandfunk sowie in den Fernsehsendungen „Kunscht und lesenswert“ im Südwestrundfunk sowie seit 2003 bis heute in „Druckfrisch“ auf „Das Erste“. Denis Scheck wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

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