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„Kathedralen“

Die alte und neue Rolle von Kulturbauten

Kulturbauten sind die Lieblingsprojekte der Architekten. Hier kommen sie der Baukunst am nächsten. Kulturbauten übernehmen eine neue Rolle in der Stadt und in der Stadtgesellschaft. Der Museumsboom ist ungebrochen. Theater und Opern erfahren aufwendige Upgrades. Falk Jaeger gibt einen Überblick.

Mehr als 160 Kulturzentren sind seit 1998 parallel zum allgemeinen Bauboom in China errichtet worden, eine Entwicklung, die sich ansatzweise mit der Theaterneubauwelle in Europa nach dem verheerenden Brand des Wiener Ringtheaters 1881 vergleichen lässt. Allen chinesischen Städten gemeinsam ist der Wunsch nach einem signifikanten öffentlichen Bauwerk als Wahrzeichen der ansonsten sich zum Verwechseln gleichenden Riesenstädte. Identifikationsmerkmale also sind gefragt, strahlende Stadtkronen sollen es sein, extravagante Kreationen, je expressiver, desto besser. Und es ist der Versuch, die quasi aus dem Nichts entstandene, vehement nach Wohlstand strebende Mittelschicht in ein staatstragendes Bildungsbürgertum zu verwandeln und eine kulturelle Tradition zu begründen – durchaus nach dem Muster westlicher Gesellschaften. Nicht viel anders, nur mit noch mehr Finanzeinsatz, geht man im Nahen Osten vor, wo die Gesellschaften innerhalb von drei Generationen vom Beduinenzelt in die Wolkenkratzer katapultiert werden.

In zwei Bauabschnitten entstand in den Jahren 2006 bis 2020 das Carmen Würth Forum in Künzelsau nach Plänen von David Chipperfield.
Der Kammermusiksaal des Carmen Würth Forums.

Erst die Hülle, dann der Inhalt
Die Beispiele zeigen, welche Bedeutung die jeweiligen Macht­haber der Kultur und ihren Institutionen beimessen, eine Be­deu­tung, der man sich in Mitteleuropa nicht unbedingt bewusst ist. Man könnte meinen, ein in die Zukunft stürmendes China oder die morgenländischen Scheichtümer als heutige Länder der unbegrenzten Möglichkeiten müssten eigentlich konsequenterweise die gesamte Kultur zukunftsträchtig in virtuellen Räumen etablieren. Stattdessen, und dies wohl aus guten Gründen, werden neben Flughäfen, Großbahnhöfen und Stadien auch Theater, Konzertsäle, Museen en gros gebaut und im Nachgang die Ensembles, Orchester und Museumssammlungen, etabliert, die diese Häuser mit Leben erfüllen sollen.

Konstituierende Elemente
Was in den Metropolen aufstrebender Nationen bewusst entwickelt werden muss, ist der mitteleuropäischen Stadt seit Jahrhunderten gegeben: die Kulturträger und deren architektonische Präsenz als konstituierende Elemente der Stadt. Und dies in wachsendem Maß, denn die Kultur übernimmt häufig genug Baulichkeiten anderer Kultur- oder Zivilisationsträger, die an Bedeutung verlieren. Kathedralen werden zu Ausstellungshallen, Bibliotheken und Konzerthallen, Fabrikanlagen zu Theatern. Ein Dieselkraftwerk in Cottbus, aber auch Bahnhöfe wie der Hamburger Bahnhof in Berlin oder der Gare d´Orsay in Paris werden zu Museen. Gleichzeitig spielt das private Mäzenatentum eine wachsende Rolle. Große Privatsammler suchen die Öffentlichkeit und bauen sich oft eigene Museen, allen voran Reinhold Würth, der seine „Sammlung“ eigener Museen mit dem von David Chipperfield entworfenen Carmen Würth Forum in Künzelsau krönte. Dort entstand nicht nur ein Kunstmuseum, sondern auch ein Veranstaltungszentrum mit Konzertsaal, in dem das eigene Orchester seinen Stammsitz hat.

Engagement der Sammler
In Hamburg verwandelten Markovic Ronai Lütjen und Voss einen Hafenspeicher in das großartige Maritime Museum der Sammlung Peter Tamm. Gerade im Bau ist das Museum für abstrakte Kunst, das der Sammler Reinhard Ernst vom japanischen Architekten Fumihiko Maki in Wiesbaden errichten lässt. Die Sammlung Brandhorst  in München von Sauerbruch Hutton, die Langen Foundation von Tadao Ando , das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt von Volker Staab, das kleine, aber delikate Museum für Architekturzeichnung, das Sergei Tchoban für seine Sammlung in Berlin baute – es sind oft großartige Bauten der renommiertesten Architekten, in denen Bauherren die eigene Sammlung präsentieren.

Föderalismus und Kulturvielfalt
Doch Deutschland versteht sich als Kulturnation, die nicht nur, wie vergleichbare Nationalstaaten, mit kulturellen Hochleistungen in der Hauptstadt glänzt. Dafür sorgt schon das föderale System, das die Zuständigkeit für Kultur den Ländern zuweist. Was „Turnvater“ Jahn 1814 abwertend als Kleinstaaterei bezeichnete, die Zersplitterung deutscher Lande in zahlreiche Herzog- und Fürstentümer, führte auf kulturellem Gebiet zu fruchtbarer Konkurrenz. Die Vielfalt an Theatern und Opernhäusern und ihre Verteilung in der Provinz ist einzigartig, von Flensburg über Meiningen, Hof und Karlsruhe bis Passau gibt es Staats- und Landestheater, aber auch kommunal getragene Bühnen. Die Konzerthäuser reichen von Leuchtturmprojekten wie Herzog & de Meurons Elbphilharmonie (Bild auf S. 40 - 41) in der Millionenstadt Hamburg bis zum kleinen, aber feinen Konzerthaus (Bilder auf dieser Seite), das Peter Haimerl in der 2000-Seelen-Gemeinde Blaibach gebaut hat. Das mit Architekturpreisen ausgezeichnete Bauwerk hat es sogar auf eine Briefmarke geschafft.

Beeindruckend auch im Inneren: Die Elbphilharmonie in Hamburg von Herzog & de Meuron wurde in der PORTAL 40 vorgestellt.
Wie sehr Architektur einen Ort prägen kann, zeigt das Konzerthaus in Blaibach.
Es steht in der kleinen Gemeinde Blaibach und wurde von Peter Haimerl entworfen.

Herausragende Architektur
Auch im Bereich der Museen ist Deutschland vor allem in der Breite führend. Architektonische Preziosen finden sich bis in die hintersten Winkel der Republik, auf Föhr das Museum Kunst der Westküste von Sunder-Plassmann, im Dreiländereck Tschechien-Österreich das Granitzentrum Hauzenberg von Brückner & Brückner, im Schwäbischen das Literaturmuseum der Moderne in Marbach von David Chipperfield Architects, am Bodensee das vielfach ausgezeichnete Kunstmuseum Ravensburg von Lederer Ragnarsdóttir Oei. Für Besucher im badischen Freiburg ist das Augustinermuseum ein Muss, das Christoph Mäckler in mehreren Häusern des umgebauten Augustinerklosters einfühlsam, aber mit markanter eigener Architektursprache eingerichtet hat. Größere Häuser sind zum Beispiel in Leipzig mit dem Museum der bildenden Künste von Hufnagel Pütz Rafaelian oder in Münster mit dem LWL-Museum für Kunst und Kultur (Bilder S. 44 - 45) von Volker Staab entstanden. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Was auffällt, ist die hohe Qualität der Museumsarchitektur, vergleicht man sie mit anderen Bauaufgaben. Was noch auffällt, ist, dass sich die Erwartung, nach dem Museumsboom der 1970er-Jahre müsse es ein Abflauen geben, nicht erfüllt hat. So gesehen wird auch das nächste Jahrzehnt viele neue Bauprojekte, aber auch umfangreiche Sanierungen älterer Häuser mit sich bringen. Auch das Anwachsen der Bausummen wird man weiterhin konstatieren können. Und dies nicht nur bedingt durch steigende Baukosten, sondern auch durch steigende Ansprüche an Sicherheit und Brandschutz, an konservatorische Bedingungen, aber auch durch die Ansprüche des Publikums, das rund um die Exponate immer mehr Entertain­ment, Shops und Gastronomie erwartet.

Holz und Sichtbeton bestimmen den Innenraum.
Einen solchen Konzertsaal würde man in der bayrischen Provinz nicht vermuten.

Gestiegener Anspruch
Das Berliner Museum des 20. Jahrhunderts, das derzeit durch Herzog & de Meuron im Bau ist, wird nicht das letzte Großprojekt sein, die Sanierungen der Neuen Nationalgalerie am Berliner Kulturforum und des Pergamonmuseums auf der Museumsinsel werden nicht die letzten aufwendigen, an Neubauvolumen heranreichenden Renovierungen sein. Im Bereich der Theater ist hingegen die Vollversorgung so gut wie erreicht. Hier sind es die Erneuerungsprojekte, die unerhörte Bausummen in Anspruch nehmen. In Berlin, Stuttgart oder Köln werden Hunderte Millionen Euro in die Hand genommen, in Frankfurt erwarten manche die Überschreitung der Milliardengrenze. Bislang haben sich die Landes- und Stadtparlamente den Prestigeprojekten nicht verschlossen und das Murren in Teilen der Stadtöffentlichkeit über hoch subventionierte, elitäre Musiktheater überhört. An der Akzeptanz wird es wohl auch in Zukunft nicht mangeln. Vielleicht wird nach der Coronakrise, die heftige Haushaltsdefizite mit sich bringt, so manches Vorhaben zeitlich gestreckt. Den „Sachzwängen“ der neuen Vorschriften und der gestiegenen Ansprüche der Theatermacher an Ausstattung und zeitgemäße Arbeitsplätze wird sich kein öffentlicher Auftraggeber widersetzen. Kultur ist Lebensqualität, ist „weicher Standortfaktor“, ist ein Lebens­inhalt der Wohlstandsgesellschaft. Kulturbauten werden auch weiterhin Konjunktur haben.

Der Neubau des LWL-Museums in Münster stammt von Staab Architekten und bildet sowohl stilistisch als auch farblich einen starken Kontrast zum Altbau.
Das LWL-Museum für Kunst und Kultur zeigt eine große Sammlung vom frühen Mittelalter bis hin zur Gegenwartskunst.

Autor: Prof. Dr.-Ing. Falk Jaeger  
geboren 1950 in Ottweiler/Saarland, DE
studierte Architektur und Kunstgeschichte in Braunschweig, Stuttgart und Tübingen. Seit 1976 arbeitet er als freier Architekturkritiker für die Tages- und Fachpresse des In- und Auslands sowie für Hörfunk und Fernsehen. Von 1983 an war er an Hochschulen präsent: zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Architektur- und Stadtgeschichte der TU Berlin, dann mit Lehrauftrag für Architekturkritik an der TU Braunschweig. 1993 promovierte ihn die TU Hannover mit einer Dissertation über das Dominikanerkloster in Esslingen. Ab 1993 lehrte er zunächst als Hochschuldozent, später als außerplanmäßiger Professor für Architekturtheorie und Architekturkritik an der TU Dresden. Zudem war Falk Jaeger von 2001 bis 2002 Chefredakteur der „bauzeitung“. Seit 2002 ist er mit Sitz in Berlin als Publizist, Kritiker, Kurator und Juror tätig mit Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen. Er ist Kolumnist der Zeitschrift „wettbewerbe aktuell“ und des Internetportals „momentum“. Seit 2007 ist er Herausgeber und größtenteils Autor der im Berliner Jovis Verlag erscheinenden monografischen Buchreihe Jovis Portfolio, in der herausragende Architekten porträtiert werden.

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