home
Kontakt
Möchten Sie ein mit unseren Produkten realisiertes Projekt einreichen, haben Sie Fragen oder Anregungen? Melden Sie sich über portal@hoermann.de
Abo
Möchten Sie zukünftig alle PORTAL Ausgaben kostenfrei per Post erhalten? Registrieren Sie sich hier.
share
Neulich in ...

Norderstedt

Die Sonderauszeichnung „Umwelt und Nachhaltigkeit“ des Deutschen Lehrkräfte­preises geht dieses Jahr nach Norderstedt. Dort setzte Kathrin Peters mit ihren Schü­lern ein spannendes Projekt um.

Sie sind eine – von mehreren – jüngst ausgezeichneten Lehrerinnen des Jahres. Wie wird man das?
Während man für die Preise für beste Lehrer oder beste Schulleitung von der Schülerschaft oder von den Lehrkräften vorgeschlagen wird, kann man sich für den Lehrkräftepreis „innovativ“ selbst bewerben. Das habe ich mit dem Projekt „Tiny House“ getan.

Erzählen Sie bitte ein wenig von diesem Projekt.
Unsere UNESCO-Schule ist Teil des Climate Action Projects, für das man sich zweimal jährlich traf, um an 26 teilnehmenden deutschen Schulen einen Whole School Approach in Sachen Klimaschutz zu entwickeln. Einen der Workshops leitete der Architekturdozent des Bauhaus-Campus und Initiator der Tiny-House-Bewegung in Deutschland Van Bo Le-Mentzel. Er begeisterte unsere Schülergruppe und die mitreisenden Lehrkräfte so sehr, dass sie 2018 beschlossen, ein Tiny House zu bauen. Es sollte ökologisch sein, jungen Menschen und Migranten ein freies Ankommen und Orientieren im urbanen Raum ermöglichen und als Arbeitsplatz, als Wohnraum, als Verkaufsstand oder als Versammlungsmöglichkeit dienen können.

2019 startete ein Wahlpflichtkurs Tiny House für 19 Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen. Bis Corona den Kurs stoppte, entwickelte dieser Kurs die Ideen, Zeichnungen, Berechnungen, Kalkulationen und die gewünschten Funktionen des Hauses, kaufte vom ersten Preisgeld, das wir mit der Vorstellung der Idee bei lüttIng. gewonnen hatten, einen Trailer und Baumaterial und schaffte es, den Boden und drei Wände im Rohbau fertigzustellen.

Nach Corona bat uns lüttIng., es noch einmal zu versuchen und stellte die Bedingung, dass wir das Projekt professioneller aufstellen und einen festen Fertigstellungstermin anstreben sollten. Wir entwickelten einen sehr umfangreichen Plan, wie wir mit allen Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 9 und 10, die eine Projektprüfung ablegen mussten, gemeinsam das Tiny House fertig bauen könnten, ohne auf die Wählbarkeit der Projektthemen und der Projektgruppen zu verzichten. Im Vorfeld erfanden Handwerker und Lehrkräfte 39 Projektaufgaben, die in den prüfungsbezogen vorgeschriebenen 15 Praxisstunden je Prüfling erledigt werden konnten. Mit diesem Plan gewannen wir zum zweiten Mal den ersten Preis bei lüttIng.

Zum Preis gehörte ein Schülerkurs in Projektmanagement nach DIN, den ein Unternehmensberater an unserer Schule durchführte. Hier entstand die Abfolge der Gewerke und der Projektaufgaben, die wir bis zum Projektende einhielten. Jede Gruppe erhielt in einer Art Parship-Aktion eine Tutoren-Lehrkraft. Diese unterstützte beratend bei der Planung, Dokumentation und Präsentation, durfte aber auch mitbauen, was einige Lehrkräfte wahrnahmen. Zwei von ihnen waren dienstags und donnerstags am Nachmittag für Aufsicht und technische Unterstützung vor Ort, ein Lehrer am Tiny House auf dem Betriebshof und eine Techniklehrerin in der Werkstatt, wo sie die großen Maschinen bediente und handwerkliche Tipps gab. Am Abend dieser beiden Bautage bot die Offene Werkstatt Norderstedt die Weiterarbeit im Schulgebäude an. Hier entstanden die Möbel, Fenster, die Türelemente, die Toilette, die Dusche, die Küchenspüle, der Akkuschutz und viele andere Bauteile. Weitere Hilfen gaben drei Zimmereien, ein Sanitärbetrieb, ein Notstromaggregatebau, eine Malerin und viele Eltern in der Bauzeit von Oktober bis Ende Dezember 2021.

Alle Prozesse wurden von der Projektgruppe „Arbeitsprozesse“ gesteuert, die aufpasste, dass die Gruppen rechtzeitig fertig wurden, damit die Folgearbeiten erledigt werden konnten, dass alle Gruppen die vorgegebenen Maße einhielten und dass die Handwerksbetriebe dort einsprangen, wo Schülergruppen ihre Ziele nicht erreichten, oder diese so unterstützten, dass sie ihre Ziele erreichen konnten. Dies betraf hauptsächlich die Arbeit der Zimmerer, weil wir nicht mit Kreissägen und anderem Gerät umgehen dürfen. Da es sich um Neuntklässler handelte, sah die Arbeit der Prozessgruppe etwa so aus: Feststellen, dass die Gruppe „Wand 2 mit Profilbrettern verschalen“ nicht angetreten war. Die Gruppe erfolglos anrufen und am nächsten Tag energisch ansprechen. Da diese sich zu Recht über die angedrohte Konsequenz beschwerten und die Arbeit verweigerten, musste die Prozessgruppe selbst einspringen und die Wand teilweise so fertigstellen, dass die Fenstergruppe weiterarbeiten konnte. Sich bei der Wandgruppe zu entschuldigen und künftig konstruktiver zu kommunizieren war einer der Lernerfolge der Prozessgruppe.

Aufgrund der Projektprüfungszeiträume mussten wir bis zum 21. Dezember bauen. Erstmals strengten sich unsere Neuntklässler über ihre Wohlfühlgrenze hinaus extrem an, bauten bei Frost und im Dunklen, bis sie ihre Ziele erreicht hatten.

Selbst geplant und gebaut von Schülern des 9. und 10. Jahrgangs.
Kurz vor dem Neubau: Die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark.

Wie wird das Tiny House genutzt?
Das Tiny House kann man zwar privat mieten. Es ist aber eher gedacht als rollender Workshop für Schulen zum Thema Projekt, Umwelt, Klimaschutz und vieles mehr. Wir hatten und haben schon einige Anfragen und Aufträge.

Ist ein solches Projekt nicht der Unterricht der Zukunft?
Ja! Insbesondere deswegen, weil unsere Lehrer- und Schüler­generationen sich immer mehr voneinander entfremden. Bil­dung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und man kann Heranwachsende nicht in der Parallelwelt Schule verwahren, bis sie gesellschaftstauglich sind.

Inwiefern hat das Projekt „Tiny House“ Schüler dazu bewogen, eine handwerkliche Ausbildung zu machen?
Hier genügt der Impuls durch das Tiny-House-Projekt nicht. Wir haben am Beispiel unserer Tiny-House-Schülerfirma miterlebt, wie selbst nach dem Bau, der Firmengründung und mehreren Tagungsleitungen unsere 16-jährige Schülerchefin bei ihrem Wunsch, in die Oberstufe zu gehen, geblieben ist. Eine sehr charmante Einladung durch die Junioren der Handelskammer hat sie nun zumindest bewogen, bei einer der freundlichen Firmen in den Ferien ein Praktikum zu absolvieren.

Wird es in naher Zukunft ein Nachfolgeprojekt geben?
Wir hatten bereits im letzten Jahr dem gesamten Jahrgang die Möglichkeit geboten, erneut gemeinsam und betreut an einem Großthema zu arbeiten, diesmal im Rahmen der Menschenrechtserziehung. Leider wollten alle Schülergruppen lieber eigene Themen erfinden. Ein ähnliches Projekt wie das Tiny House wäre sinnvoll, aber als UNESCO-Schule sollten wir die Meinung der Schülerschaft einbeziehen und ernst nehmen.

Sollte Unterricht nicht generell praxisnäher sein? Oder geht das zu sehr zu Lasten der Allgemeinbildung?
Theorie ist ungemein praktisch, und wer etwas durchdacht hat, ist schon auf einem guten Weg, dies in die Praxis umzusetzen. Insofern hat die Theorie in der schulischen Bildung ihren berechtigten Platz. Aber unsere Bildungswege lassen den Jugendlichen keine Zeit, sich aus dem Strom der curricularen Themen herauszuklinken, um exemplarisch einmal etwas in die Praxis umzusetzen, zu erleben, wie viel Zeit, Lernen und Mühe es braucht, ein Werk fertigzustellen.
Eine Beobachtung aus den letzten Jahren macht mir Angst: Viele Projektdokumentationen vor und nach dem Tiny-House-Projekt begannen damit, dass die Gruppen ins Einkaufszentrum gingen oder Erwachsene suchten, die ihnen etwas online bestellen konnten. Danach passierte nicht viel mit dem Projektvorhaben. Kaufen ersetzt Können, und das schon in der ersten Phase des Denkens. Eine Gesellschaft, die kauft und verkauft statt aufbaut und abbaut, schafft nichts mehr und wird abhängig.

Was macht in Ihren Augen einen guten Schulbau aus?
Der Neubau unserer Schule ist bereits in Planung. Da wir ein neues Schulzentrum mit einer Gemeinschaftsschule und einem Gymnasium sind, wird dies ein großes Vorhaben. Beide Schulen werden intensiv in die Planungen eingebunden, was nicht überall üblich ist. Zugleich erleben wir aber gerade in der Planungsphase, wie unflexibel dieser Bau sich am frontalen Unterricht und an normalen Bürobauten orientiert und wie klein der Platz im Vergleich zur alten Schule ist. Aufgrund dieser Situation würde ich für flexiblere Schulbauten plädieren, deren Nutzung im Verlauf ihrer Lebensdauer verändert werden kann. Außerdem ist eine Schule kein Museum, das so erhalten werden muss, wie es sich die Planer gedacht haben. Wände, Decken und freie Flächen sollten für künstlerische und praktische Produkte freigegeben werden. Aber dagegen stehen Brandschutz und viele andere Vorschriften.

Was würden Sie an architektonischen Wünschen äußern, wenn Sie den Entwurf Ihrer Traumschule maßgeblich beeinflussen könnten?
Selbst unsere beiden UNESCO-Schulen bekommen keinen ökologischen Bau, sondern eine Büroschule mit Solardach und einer durchdachten Abwasserführung. Aus Kostengründen wurden Leimbinder an einigen Stellen gegen Beton getauscht, und so wird es wohl bei den anderen Gewerken weitergehen. Meine Traumschule wäre modular gedacht und so ausgelegt, dass alle paar Jahre um-, aus- oder angebaut werden könnte – je nach Entwicklung der Schullandschaft.

Können Sie Einfluss auf die architektonische Entwicklung Ihrer eigenen Schule nehmen? Oder gibt das Land alles Entscheidende vor?
Zwischen Architekturbüro und unseren beiden Schulen hat unser Schulträger, der eine gute Balance zwischen den Bedarfen seiner Schulen und den örtlichen Gegebenheiten hält, für die Planung des Schulneubaus ein Organisationsbüro geschaltet, das in fast wöchentlichen Runden die Bedarfe und Wünsche mit uns abstimmt. Dies ist so bei vielen Schulbauten unserer Stadt, die gerade geplant oder bereits realisiert werden. Man kommt uns sicher bestmöglich entgegen, und dafür sind wir dankbar. Vor den allerersten Planungsrunden hatte es auch Werkstätten unter Beteiligung aller schulischen Gremien gegeben. Das ist so lange her, dass kaum jemand noch an unseren Schulen ist, der oder die früher die ersten Ideen und Wünsche hatte. Insgesamt arbeiten wir mit städtischen Teams zusammen, die auch so viele Jahre später die Wünsche der Schulen berücksichtigen möchten.


Kathrin Peters

Kathrin Peters
studierte an der Christian-Albrechts-Universität Kiel zunächst Lehramt auf Magister und machte dort später noch ihren Master in Schulmanagement. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin und Schulkoordinatorin an zwei Schulen in Ahrensburg, wechselte 2016 jedoch an die Gemeinschaftsschule Ossen­moorpark nach Norderstedt, wo sie zurzeit Konrektorin ist. Ihre Unterrichts­fächer sind Englisch, Französisch und Musik.
www.gems-ossenmoorpark.lernnetz.de

alle Themen
keyboard_arrow_up
News
Kataloge
Mediacenter
Texte / CAD / BIM
Architektenberatung