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Europa

Zugleich international und von ­„zuhause“ aus arbeiten – das machen digitale Noma­den. Katharina und Paul taten dies dreieinhalb Jahre aus ihrem Van „Bjørn“, mit dem sie kreuz und quer durch Europa reisten.

Warum wurdet ihr zu digitalen Nomaden?
Wir hatten 2016 die Möglichkeit, beruflich ins Ausland zu gehen. Das hat einen Prozess angestoßen, mal kurz innezuhalten und zu überlegen, was wir wirklich wollen. Wir merkten, dass wir eigentlich nicht an einem festen Ort sein wollen, sondern reisen. Wir wollten surfen, snowboarden und die Welt sehen. Dazu brauchten wir ein Fahrzeug: So kam der Van dazu.

Warum ausgerechnet Bjørn? Reizt euch als Design-Affine nicht das Entwerfen eines Custom-Vans?
Klar fanden wir einen ausgebauten Feuerwehrtruck oder einen Oldtimer charmanter. Für uns spielten da aber mehrere Faktoren eine Rolle: Zum einen sind wir wenige Tage nach der Kündigung unserer Festanstellungen schon losgefahren, zum anderen haben wir hinsichtlich des Ausbaus eines Vans eher zwei linke Hände. Mit unserem unscheinbaren Bjørn konnten wir dafür oft mitten in der Stadt stehen, ohne direkt als Camper entlarvt zu werden.

 

Wie kam eure Route zustande? Warum „nur“ Europa?
Unser erstes Ziel war das Nordkap, Paul wollte da schon immer mal hin. Das ist auch so eine Gegend, wo wir uns ein bisschen wiedererkennen, im Wald, in der Natur, auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Wir wollen aber im Grunde völlig frei sein. Also sind wir an den nördlichsten Punkt Europas gefahren, danach war unsere Route beeinflusst von Kundenterminen, Vorträgen und dem Bedürfnis, im Herbst ans Meer oder im April Kajak zu fahren. Wir haben uns bewusst auf Europa beschränkt, weil wir meistens die gleiche Währung haben, die gleiche Zeitzone (relevant für die Arbeit) und offene Grenzen (zumindest bis vor Corona). An manchen Tagen sind wir – schwups – durch drei Länder gefahren.

 

 



Bjørn – der Pössl-Ausbau auf Citroën-Basis ist das Zuhause der Vannomaden.
Gegen die Sonne am Traumarbeitsplatz hilft nur ein Monitor mit viel Lumen.

Was sind die positiven Seiten des Van-Life?
Die Welt ist so groß, und es gibt so viel zu sehen. Wir wollten nicht bis zur Rente warten und haben mit leuchtenden Kinderaugen unsere Bucketlist abgearbeitet: Husky-Schlittenfahrt in Lappland, im Heißluftballon über die Alpen, mit dem Splitboard durch Österreich, ein Musikfestival in Spanien – der Van ist unser Vehikel, um diese Träume möglich zu machen. Klar, unser neues Zuhause ist klein, aber wir empfanden den Raum selten beengend. Nicht so viele Dinge anhäufen zu können und nur wenige, dafür aber wertvolle Dinge zu besitzen ist eine Erleichterung. Außerdem ist das Reisen mit einem Van optimal, wenn man wie wir einen Hund dabeihat. Das Futter ist immer greifbar, und wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, ob in einer Unterkunft Tiere erlaubt sind oder nicht.

 

Habt ihr Familie & Freundschaften vermisst, oder haben neue Begegnungen das ausgeglichen?
Freunde und Familie haben wir regelmäßig besucht – oder sie uns. Manche Leute haben wir sogar häufiger gesehen, als zuvor mit festem Wohnsitz. Wenn deren Zuhause nicht auf der Route lag, konnten wir uns ja in deren Urlauben irgendwo verabreden – da muss man also etwas umdenken. Viele andere Van-Lifer gab es 2016 noch nicht. Inzwischen ist das natürlich anders. Die Szene ist relativ gut vernetzt, und man hat zumindest theoretisch die Möglichkeit, Gleichgesinnte kennenzulernen.

Gibt es „goldene Regeln“ für ein Leben dieser Art?
Wir haben irgendwann mal angefangen, nicht jeden Tag den perfekten Stellplatz zu suchen. Stattdessen teilen wir unser Leben in Arbeitstage, Reisetage und Transfertage auf. Wenn man acht Stunden fährt, ist zum Beispiel das Daten-Rausschicken nebenher unpraktisch. Mit anderen Worten: Man sollte eine grundsätzliche Planung im Kopf haben. Dazu zählt auch, eine Tagesroutine zu haben. Gleichzeitig sollte man sich natürlich nicht zu sehr einengen und eine gewisse Spontaneität bewahren – zum Beispiel, um auf das Wetter zu reagieren. Außerdem ist es wichtig, sich selbst treu zu bleiben und nicht nur, weil es einem Instagram „vorschreibt“, andere Leben zu imitieren. Wir waren nie typische „Instagramer“, sondern haben unser Geld als rollende Kreativeinheit verdient. Da darf man sich nicht vergleichen.

Wie würdet ihr euer Work-Life-Management beschreiben?
Wir haben den Tag in Spaß und Arbeit unterteilt und es ge­liebt, durch die Selbstständigkeit flexibel zu sein. Wenn du am Strand parkst, kannst du deine Pausen dazu nutzen, surfen zu gehen. Genial! Dadurch gab’s für uns oft eine große Moti­vation, weil die Belohnung dann so schön war. Natürlich gab es aber auch Phasen, in denen dringend ein Projekt abgeschlossen werden musste, man sehnsüchtig aus dem Fenster schaute. Generell – und das fanden wir sehr überraschend – haben wir während unserer Reise viel mehr gearbeitet als gedacht, ähnlich viel wie im Vollzeit-Job.

Was sind die praktischen Herausforderungen, um als digitaler Nomade zu arbeiten – und was die Lösungen?
Zu unserem Start ins Nomadentum 2016 war das Internet ein großes Thema. Wir holten uns damals den größten Vertrag mit europäischen Datenvolumen, das waren schlanke 10 GB. Damit hauszuhalten war tough. Unser mobiles Büro hatten wir sonst wunderbar zum Arbeiten umgebaut, wir können tagelang autark stehen und Geräte laden, wir müssen kein Bett hin- und herklappen, sondern haben dauerhaft einen Tisch zum Arbeiten, skizzieren oder illustrieren.

Wie geht ihr mit dem Thema Sicherheit um?
Bei Tageslicht schon an einen Platz fahren und Augen und Ohren offenhalten ist die beste Sicherheitsvorkehrung. Sind wir unsicher, dann räumen wir alle Wertsachen in unseren Safe, und Sportgeräte lassen wir eh nie einfach so liegen. Stimmt dann irgendwas immer noch nicht, fahren wir eben weiter. Zur Not kann man immer einen Campingplatz anfahren. Nur auf Autobahnraststätten sollte man nie übernachten. Sowohl in Belgien als auch in Portugal hatten wir zu Beginn ein wenig Bammel, dass uns etwas geklaut wird, wir hatten so viele Schauergeschichten gehört. Aber tatsächlich ging mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen nichts schief.

Welche Unterschiede bemerkt ihr bei Kundenbetreuung und Akquise auf Reisen ohne direkten Kontakt?
Glücklicherweise haben wir hier nur gute Erfahrungen ge­­macht. Es mag Kunden geben, die den Lifestyle kritisch be­­äugen und einem Dauerurlaub vorwerfen. Bei uns waren sie immer ganz interessiert, wo wir momentan unterwegs sind, und sind richtig „mitgereist“. Social Media, die Dokumentation des Fulltime-Vanlife und die Vernetzung in der Szene hat uns immer wieder Kunden gebracht. Wir hatten zwar viele Ideen zur Akquise, mussten aber keine davon aus der Schublade ziehen. Immer wieder hatten wir Auftritte in der Presse. Dadurch wurden neue Leute auf uns aufmerksam. Ein Koch hat uns zum Beispiel im Radio gehört. Wir hatten unser erstes Meeting auf einer Hütte im Skigebiet und daraufhin gemeinsam ein Kochbuch für Vanlifer rausgebracht.

Warum habt ihr euer Van-Life aufgegeben?
Irgendwann kam der Punkt, dass es für uns nicht mehr gepasst hat, und nach einem intensiven Prozess haben wir festgestellt, dass wir zwar reisen wollen, aber auch einen Ankerplatz brauchen. Jetzt reisen wir in Kapiteln und nehmen uns dafür immer ein paar Wochen Zeit, freuen uns umso mehr aufs bewusste Unterwegs-Sein und dann auch wieder auf unser „Zuhause“. Seit letztem Jahr sind wir außerdem Eltern und brauchen die Infrastruktur einer Homebase.


Katharina Lanz & Paul Hübner

Katharina Lanz & Paul Hübner  
Katharina ist 1988 in München geboren und hat Mediendesign in Ravensburg studiert. Sie arbeitete in verschiedenen Agenturen, ehe sie sich 2016 zusammen mit Paul und dem Label Vannomaden selbstständig machte. Paul wurde 1987 in Stuttgart geboren, studierte Wirtschaftsingenieurswesen in Ulm. Er spezialisierte sich als Gründer auf Prozessmanagement in verschiedenen Konstellationen. Auch heute ist er neben seiner geschäftlichen Partnerschaft mit Katharina noch als Geschäftsführer bei Bold & Epic tätig.
www.vannomaden.de

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