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Neustart!

Mehr Mut zur Veränderung

Was „Nachhaltigkeit“ nun tatsächlich bedeutet, das ist stets eine Frage der Perspektive. Für dieses Heft baten wir vier grundverschiedene Vertreter nachhaltigen Bauens um ihre Sichtweise zum Thema: zwei Architekten, einen Verein und ein ganzes Dorf. Breiter hätte das Spektrum der Meinungen kaum werden können.

Einig sind sich alle in der Abneigung gegen jegliche Art der Verschwendung. Es gilt schließlich auch ganz allgemein: Was schon da und noch verwendbar ist, das muss nicht durch Neues ersetzt werden. Egal ob es um den Trend zu „Fast Fashion“-Kleidung geht, die in Rekordtempo entworfen, produziert und wieder entsorgt wird – oder um architektonisch besinnungslos hochgezogene Neubauten.

Für radikal-ökologisch lebende Menschen führt der Weg zum Ziel des nachhaltigen Daseins über Strohballen-Lehmbau, Trenntoiletten, vegane Ernährung und den Dauerdiskurs über die korrekte Lebensweise als Gemeinschaft. Im „Ökodorf Sieben Linden“ in Sachsen-Anhalt wird dies seit vielen Jahren konsequent praktiziert. Für einen gesellschaftlich engagierten Architekten wie Arno Brandlhuber ist es (nicht allein aber auch) das bürgerschaftliche Engagement, das zu einem nachhaltigeren Bauen führt – zusammengefasst durch seine Mitgründung der Bürgerinitiative „HouseEurope!“.

 

 

HouseEurope! setzt sich für den Umbau und gegen Spekulation ein.
Der Verein Architects for Future wurde 2020 in Wuppertal gegründet.

Das Ziel: Der Abriss von Gebäuden sollte im allgemeinen Bewusstsein als ebenso völlig veraltete Praxis gelten wie die Verschwendung von Lebensmitteln. Auch neue legislative Rahmenbedingungen zählen zu den Zielen der Initiative. Für den Verein „Architects for Future“ ist es auch nicht allein eine simple energetische CO2-Gleichung, an deren Ende ein einfaches Resultat steht: Statt mit hohem Energieaufwand Bestehendes abzureißen und mit vielfach höherem Energieaufwand Neues zu bauen, sollte konsequent saniert werden. Die CO2-Minderung wäre enorm. Diese Überlegung mündete in der viel beachteten und breit unterstützten Forderung nach einem Abrissmoratorium. Vor allem soll nach dem Willen des Vereins ein neues Bewusstsein unter allen Beteiligten des Entwurfs- und Bauprozesses geschaffen werden. Der Architekt Peter Haimerl denkt noch einen Schritt weiter. Für ihn ist nicht allein die vorhandene Bausubstanz ein enormer CO2-Speicher, den es zu schützen gilt. Bestehende Gebäude sind für ihn Lagerhäuser wertvoller, gemeinschaftlicher Erinnerungen. Diese immateriellen Memorabilien, die dazu dienen, eine auseinanderstrebende Gesellschaft zusammenzuhalten, sind damit ein wesentlicher Teil einer kulturellen und sozialen Nachhaltigkeit. Es sind vier grundverschiedene Ansätze mit zugleich großen Schnittmengen für ein gemeinsames Ziel.


Der Verein: Architects For Future

Die Klima- und Umweltschäden des Bausektors werden von der Gesellschaft unterschätzt und von Politik und Wirtschaft vernachlässigt. Die Bauwende ist nicht nur eine dringende Notwendigkeit, sondern eine Chance, eine neue Baukultur zu etablieren. Der Verein „Architects for Future“ stellt zehn Forderungen.

Eng verknüpft mit dem Gelingen der Energie- und Verkehrs­wende ist die Bauwende ein ­entscheidender Hebel für das Einhalten der Pariser Klimaschutzziele. Wenn wir Lebens­qua­lität und Gerechtigkeit steigern wollen, muss die Weiterent­wicklung des Wohlstands vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden.

[1] Bedarf
„Was brauchen wir wirklich für ein gutes Leben?“, lautet die Ausgangsfrage für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft. Angesichts steigender individueller und gesellschaftlicher Ansprüche sowie kontraproduktiver gesetzlicher Vorgaben reichen verbesserte technische Lösungen nicht aus, um Ressourcen wirksam einzusparen. Ein wichtiger Faktor ist der Heizwärmebedarf. Obwohl Gebäude seit 1970 immer weniger Heizenergie pro Quadratmeter benötigen, ist der Heizwärmebedarf pro Kopf konstant geblieben. Grund ist die Verdopplung der durchschnittlichen Wohnfläche pro Kopf von 25 auf 50 Quadratmeter im selben Zeitraum. Damit Gebäude Umwelt und Klima deutlich weniger belasten, müssen wir eigene Ansprüche und gesetzliche Anforderungen auf Vereinfachungen überprüfen.

[2] Abriss
Ein wichtiger Hebel für die Bauwende liegt in der Vermeidung von Abriss und der Sanierung von Bestandsgebäuden. Lang­fristig verursachen Sanierungen in den meisten Fällen weniger Emissionen als Neubauten. Eine der größten Chancen für die Klimawende im Gebäudebereich liegt daher in den Nachkriegsbauten der 1950er- bis 1970er-Jahre: Diese Gebäu­de machen rund 40 Prozent des Bestands aus und sind einfach zu Niedrigstenergiegebäuden zu sanieren. Wohnraum kann auch durch Aufstockungen, Umbau und Umnutzungen geschaffen werden.

[3] Energiewende
Wir brauchen gut durchdachte energetische Sanierungen und eine fossilfreie Energieversorgung. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern befeuert den Klimawandel, trägt zu konfliktbehafteten Handelsbeziehungen bei und gefährdet die langfristige Energiesicherheit. 80 Prozent der Gebäude in Deutschland werden mit fossilen Brennstoffen beheizt. Ziel der Bundesregierung ist, die Emissionen des Gebäudesektors bis 2030 auf die Hälfte des Stands von 2021 zu reduzieren. Dies ist nur möglich, wenn der Energieverbrauch von Bestands­gebäuden drastisch gesenkt wird.

[4] Zukunftsfähige Qualität
Zukunftsfähiges Entwerfen zielt darauf ab, dass kommende Generationen Gebäude und Städte wertschätzen und weiternutzen können. Dafür brauchen wir eine neue Baukultur mit funktionalen und gestalterischen Qualitäten sowie sozialem, ökologischem und ökonomischem Mehrwert. Zukunftsfähiges Entwerfen beinhaltet die Umsetzung einer Stadt der kurzen Wege, verkehrsberuhigte Bereiche und autofreie Innenstädte, vielfältig nutzbare Flächen, Grundrisse und Gebäude sowie Anpassungsfähigkeit und Resilienz.

Demonstrieren für eine Veränderung der Denkweise von Politikern, Investoren und Architekten.
Den Bestand nutzen! Saniert werden muss irgendwann sowieso.

[5] Kreislauffähig und klimapositiv
50 Prozent aller in Deutschland produzierten Rohstoffe werden durch Bautätigkeiten verbraucht. Nach Verpackungen sind Bauprodukte der zweitgrößte Anwendungsbereich von Kunststoffen. All diese Rohstoffe enden meist nach einmaliger Verwendung als Abfall oder Schuttbeigabe. Dabei ist unsere gebaute Umwelt ein wertvolles Rohstofflager. Voraussetzung für die Nutzung dieser „urbanen Minen“ sind Bauteile mit lösbaren Verbindungen sowie die sortenreine und qualitätserhaltende Trennung einzelner Schichten. Bauteile und Baustoffe müssen möglichst oft wiederverwendet werden. Erst wenn nach mehreren Zyklen keine weitere Nutzung als Bauteil möglich ist, sind Baustoffe einer weiteren Verwertung zuzuführen.

[6] Gesunde Umwelt
Gebäude spielen in unserem Alltag eine zentrale Rolle. Wir wohnen, arbeiten und erholen uns in ihnen. 80 bis 90 Prozent unseres Lebens verbringen wir in Innenräumen. Auch unsere Städte mit ihren Infrastrukturen und Freiräumen haben großen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Aus diesem Grund ist es wichtig, bereits bei der Planung alle dafür maßgeblichen Faktoren zu berücksichtigen. Schadstofffreiheit und die Versorgung mit Frischluft gehören ebenso dazu wie thermische, visuelle und akustische Behaglichkeit, Barrierefreiheit, Brandschutz und architektur-psychologische Faktoren.

[7] Klimaresilienz
Klimaresilienz muss zur Planungsgrundlage für das Bauen werden. Das Leben und Wohlbefinden von Menschen muss auch bei Extremwetter gesichert sein. Ebenso müssen ökologische, ökonomische und soziale Schäden verhindert oder zumindest eingedämmt werden. Deshalb darf kein neues Bauland ausgewiesen werden. Flächen müssen aktiv entsiegelt und renaturiert werden. Im Stadt­umbau müssen wir die Betrachtung des Mikroklimas und ein lokales Wassermanagement etablieren. Passive Strategien wie Stadtbegrünung, helle Oberflächen sowie Verschattungskonzepte und Retentionsflächen wirken Hitzeinseln entgegen.

[8] Biodiversität
Der Verlust natürlicher Artenvielfalt stellt neben dem Klima­­wandel die größte Bedrohung für die menschliche Exis­tenz dar. Unversiegelte Flächen und Ökosys­teme müssen erhalten und ausgebaut werden. Bebauungs- und Flächen­nutzungspläne müssen den Erhalt der Biodiversitätsqualität berücksichtigen. Die Ökosystem­dienstleistungen sind bei Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen einzukalkulieren. Es darf keine Ausweisung von neuen Baugebieten auf der „grünen Wiese“ und keine vollversiegelten Industriegebiete mehr geben. In bestehenden Ballungsräumen können mit Dach- und Fassadenbegrünungen Verbesserungen erzielt werden.

[9] Soziale Verantwortung
Baubeteiligte tragen eine hohe soziale Verantwortung, der die aktuelle Baupraxis nicht gerecht wird. Sozialer Mehrwert fällt bei Auftragsvergaben nur selten ins Gewicht. Faire Arbeits­bedingungen und die sozialen Auswirkungen entlang der Lieferketten werden oft als sekundär betrachtet. Aufgrund fehlender Klimagerechtigkeit leiden ärmere Regionen stärker unter Umweltschäden und deren Folgekosten als viele Länder des globalen Nordens. Verantwortungsvolles soziales Bauen muss die Menschen und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellen. Darüber hinaus geht es darum, sich für gerechte Arbeits-, Miet- und Eigentumsverhältnisse, gesellschaftliche Teilhabe und individuelle Entfaltung ohne Diskriminierung von Minderheiten oder soziale Benachteiligung einzusetzen.

[10] Integrale Planung
Um integral zu planen, müssen die verschiedenen Fach­disziplinen miteinander und mit den zukünftigen Nutzern zusammenarbeiten. Experten aus bisher wenig integrierten Bereichen können Planungsprozesse entlasten. Dazu zählen Baubiologie, Ökologie und Soziologie, Lebenszyklusbetrachtung und alternative Geschäfts- und Finanzierungsmodelle. Interdisziplinäre Planungsteams, die Etablierung von Partizipationsprozessen, die Ermittlung der tatsächlichen Bedarfe und die Digitalisierung von Planungsprozessen können bei der Umsetzung helfen.

Architects for Future
gegründet 2020 in Wuppertal
Fördermöglichkeit und Partizipation unter
www.architects4future.de


Demonstratrieren, wo es gehört wird: in Berlin.
Radikaler Erhalt: Brandlhubers eigenes Wohnhaus sorgte für Aufmerksamkeit.

Der eine Architekt: Arno Brandlhuber

Zusammen mit Olaf Grawert gründete Arno Brandlhuber vom Büro b+ die Bürgerinitiative HouseEurope! für eine europäische Richtlinie zum Substanzerhalt und gegen Abriss aufgrund von Spekulation.

Ich bin Architekt und Mitbegründer der ­europäischen Bür­ger­initiative HouseEurope.eu . Die Frage des Lebensraums spielt eine entscheidende Rolle für die Qualität und Stabilität unseres Gemeinschaftslebens. Sie betrifft jeden Einzelnen von uns, unabhängig von Alter, Beruf oder Herkunft. Im Rahmen der Initiative HouseEurope.eu sehe ich es als meine Aufgabe an, nicht nur Bewusstsein zu schaffen, sondern auch nachhaltige legislative Lösungen voranzutreiben, die eine tiefgreifende Werteveränderung in unserer Gesellschaft bewirken.

Gemeinsames Wirken
Es mag überraschen, aber viele Studien zeigen, dass ein Großteil der Bevölkerung den direkten Einfluss von Immobilien auf ihr Leben nicht erkennt. Dabei haben Gebäude eine erhebliche Auswirkung auf unser tägliches Leben: Sie bestimmen unsere Fixkosten, beeinflussen unsere Lebensqualität, unsere CO2-Emissionen und unsere Zukunft. In meinem Alltag bemühe ich mich um verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und versuche die Auswirkungen unseres Handelns auf die Gesellschaft zu bedenken. Es ist von entscheidender Bedeutung, über den Tellerrand zu blicken und zukünftige Szenarien zu durchdenken. Vorausschauend zu agieren und die möglichen Konsequenzen unserer Entscheidungen zu antizipieren ist essentiell, um ein harmonisches und nachhaltiges Miteinander zu fördern.

Nachhaltig und gerecht
Das Engagement von HouseEurope.eu ist ein wesentlicher Schritt in Richtung eines nachhaltigeren und gerechteren Lebensraums in Europa. Durch unser gemeinsames Wirken können wir dazu beitragen, dass der Abriss von Gebäuden als veraltete Praxis – ähnlich wie Einwegplastik, Fast Fashion und Lebensmittelverschwendung – erkannt und abgelehnt wird. Leistbares Wohnen und eine klimafreundliche Zukunft sind das Recht aller Bürger. Mir geht es darum, einen Weg zu finden, der ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte in Einklang bringt und dadurch die Lebensqualität für alle erhöht.

Arno Brandlhuber
geboren 1964 in Alzenau
Fördermöglichkeit und Partizipation unter
www.houseeurope.eu
www.brandlhuber.com

Der andere Architekt: Peter Haimerl

Peter Haimerl ist bekannt für seinen innovativen Umgang mit Bestand, steht aber auch dem Neubau positiv gegenüber – solange die architektonische Qualität Nachhaltigkeit zur Folge hat.

Ich komme aus dem Bayerischen Wald von einem kleinen Bauernhof. Die Frage nach Nachhaltigkeit hat sich dort automatisch gestellt. Die Ressourcen, die den Menschen zur Verfügung standen, waren eingeschränkt. Die persönliche Energie, die benötigt wurde, um Arbeiten zu verrichten, war bis auf wenige Maschinen auf den persönlichen Energieverbrauch beschränkt. Es wurde daher eher in Kilojoule als in Kilogramm CO2-Verbrauch berechnet. Und trotzdem war das Ziel nicht, so wenig wie möglich Energie zu verbrauchen, sondern aus der wenigen Energie, die zur Verfügung stand, ein maximal angenehmes und schönes Lebensumfeld zu schaffen – egal ob versucht wurde, eine optimale Obsternte zu erzielen oder ob ein Haus so schön und angenehm wie möglich gestaltet werden sollte. Der Schulweg wurde zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. Auch hier habe ich mit meinen Mitschülern nicht den kürzesten und effektivsten Weg genommen, sondern den spannendsten und aufregendsten.

Haltung bewahren
Diese Haltung versuche ich seitdem in allem, was ich tue, zu bewahren. Es geht darum, auf dem Weg hin zu einer guten Architektur im Bestand, aber auch in visionären Möglichkeiten Ansätze zu finden, die im Kern schon in den Gegebenheiten oder in Denkmöglichkeiten für die Zukunft stecken. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich mich bei meinem eigenen Haus „Birg mich, Cilli!“ dafür entschieden habe, möglichst viel Bestand stehen zu lassen. Im Bestand steckt Energie in Form von grauer Materie, viel wichtiger noch in Form von Geschichten, die wie potenzielle Energie nur darauf warten, aktiviert zu werden. In Kombination von Historie und Denkansätzen jetziger Architekturtheorien wurden ungeahnte Raumerweiterungen und Modulationen sichtbar, die unmöglich gewesen wären, hätte ich ein Haus auf die grüne Wiese ohne Vergangenheit und noch fehlenden eigenen Charakter gebaut. Ich hätte viel mehr Aufwand betreiben müssen, um mir eine Idee aus den Fingen zu saugen. Es hätte mehr Umstände bedurft, ein Grundstück mit Baurecht zu finden und zu entwickeln. Neue Materie hätte abgebaut, transportiert, veredelt, kombiniert und durch eine sinnvolle Planung zu einem Haus zusammengefügt werden müssen.

Immaterieller Energie
Es gibt wohl wenig, was unnachhaltiger ist als unsere jetzige gebaute Architektur, die den Regeln der klassischen Moderne folgt, die auf sich gestellt und neutral ist. Sie findet seit hundert Jahren keinen Anknüpfungspunkt in die eigene Vergangenheit. Für mich ist daher die Frage der Nachhaltigkeit weniger eine Frage des Ressourcen­schonens. Wir müssen Architektur schaffen, die mit im­ma­terieller Energie arbeitet, die neben den Fassaden und Wänden Räume schafft, die ausstrahlt und Menschen bewegt. Das ist eine Architektur, die lange stehen kann, die von vielen besucht und belebt wird. Jeder dieser Besucher kann viel von diesem Raum mitnehmen und seine eigenen Ideen und Lebensidentitäten beitragen. Der derzeitige Versuch, allein durch Materialwahl oder neue Mobilitätskonzepte nachhaltiger zu werden, greift viel zu kurz. Wir brauchen mehr Geschichten, mehr Eloquenz, mehr Architektur!

Peter Haimerl
geboren 1961 in Eben
www.peterhaimerl.com


Unkonventioneller Erhalt: eins von Peter Haimerls umgebauten Bauernhäusern.
Eine Alternative zur herkömmlichen Bauweise? Der Rohbau der meisten Häuser im Ökodorf Sieben Linden ...
... besteht aus Holzrahmen, Stroh und Lehmputz.

Die Nachhaltigen: Sieben Linden

Für konsequent ökologisch lebende Menschen sind Forderungen, wie sie Architects for Future stellen, gelebter Alltag. Im „Ökodorf Sieben Linden“ wird Nachhaltigkeit zum Beispiel ganzheitlich gelebt (mehr dazu in unserer Rubrik „Neulich in …“). Einen Teil zu dieser umfassenden nachhaltigen Lebensweise trägt die vielerorts noch belächelte Strohballenbauweise der meisten Häuser des Dorfes bei. Für dieses Thema hat die Gemeinschaft Pionierarbeit geleistet.

Unser Ziel in Sieben Linden ist, den ökologischen Fußab­druck in allen Lebensbereichen zu reduzieren. Eine Studie der Technischen Universität Turin ergab, dass unser ökologischer Fußabdruck pro Person etwa ein Drittel so groß ist wie der des Bundesdurchschnitts. Eine entscheidende Rolle spielen die solare Strom- und Warmwasserversorgung, die Nutzung von Komposttoiletten, das Bauen mit natürlichen, regional verfügbaren Rohstoffen wie Stroh, Lehm und Holz sowie die professionelle ökologische Gärtnerei zur Selbstversorgung. Auch die gemeinschaftliche Nutzung von Infrastrukturen, die vergleichsweise geringe Wohnfläche pro Person und die Vermeidung von Mobilität durch soziale und kulturelle Angebote direkt im Dorf mindern die Emissionen. Wir werten das besiedelte Gelände auf, indem wir vielfältige Lebensräume für Flora und Fauna schaffen.

Bis auf zwei Bestandsgebäude, die komplett ökologisch saniert wurden und den Auftakt für unser Projekt bildeten, ist Sieben Linden ein Dorf, das komplett neu entstanden ist. Da es auch weiterhin wächst, steht das ökologische Bauen sehr im Fokus. Inzwischen stehen auf 6 Hektar Bauland 16 Öko- und Niedrigenergiehäuser, davon 14 Strohballenhäuser. Vor allem für diese Bauweise konnten wir Pionierarbeit leisten. Die Strohballen kommen in der Regel von Äckern aus der unmittelbaren Umgebung. Das Holz kam bei einigen Baustellen aus dem eigenen Wald. Da unser lokaler Lehm deutlich aufwändiger zu verarbeiten ist als gekaufter Lehmputz, verwenden wir nun meistens Lehm aus Nordrhein-Westfalen. Das strohgedämmte Gebäude spart nicht nur durch die gute Wärmeisolation im laufenden Betrieb Energie, sondern schon im Bau: Nur rund die Hälfte der Primärenergie im Vergleich zum herkömmlichen Massivbau wird gebraucht.

Jedes Strohballenhaus war ein wichtiger Schritt für die Entwicklung dieser Bauweise: Die „Villa Strohbunt“ war 2001 das erste Wohngebäude, das in Deutschland eine Baugenehmigung für den Bau mit dem Baustoff Strohballen bekommen hat. Außerdem wurde dieses Haus im Rahmen eines Experiments komplett von Hand und nur aus regionalen und recycelten Baustoffen gebaut. Das dreigeschossige Strohballenhaus „Strohpolis“ war bei seiner Fertigstellung 2005 das größte Strohballenwohnhaus Europas. In Zusam­men­arbeit mit dem Fachverband Strohballenbau haben wir es anhand der für dieses Haus notwendigen Nachweise geschafft, für Stroh als Baustoff ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis zu bekommen. Inzwischen gibt es eine offizielle Strohbaurichtlinie und eine bauaufsichtliche Zulassung für Baustroh als Baumaterial. „Windrose“ war das erste Strohballenhaus mit vorgefertigten Wand­elementen in Deutschland. Auch wurden hier erstmals die Strohballen aufrecht eingebracht – was zu einer Ver­ringerung der Wanddicke bei gleicher Dämmstärke beitrug.

Wir verzichten in Sieben Linden von Anfang an konsequent auf Baumaterialien wie Mineralwolle, PU-Schaum sowie PVC-haltige Bauteile. Moderne Holzheizungen, gute passive Solarnutzung sowie solarthermische Anlagen sind selbstverständlich. Diese Prinzipien und die langjährige Erfahrung unseres Architekten Dirk Scharmer finden sich auch im 2021 eröffneten Gästehaus „Strohtel“ wieder. Die strengen Brandschutzauflagen für ein Gästehaus einzuhalten brachte neue Herausforderungen mit sich. Das „Strohtel“ war bundesweit die erste Beherbergungsstätte in Strohballen-Lehmbauweise. Es hat 14 Zimmer sowie einen 70 Quadratmeter großen Seminarraum – ein passendes Ambiente für unsere Fortbildungen zum Thema Strohballenbau.

Sieben Linden
gegründet 1997 in Beetzendorf
Seminare und Webinare unter
www.siebenlinden.org

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