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In der Nacht beginnt die Fassade zu leben. Was hier zu sehen ist, bestimmt auch der Markt, denn die 700 m² große Fassade dient zeitweise als Werbefläche.

POPULÄRKULTUR: KLUBHAUS ST. PAULI IN HAMBURG

Die Griechen verehrten die Musen als

Göttinnen der Kunst – und bauten ihnen

passende Tempel. Schließlich sollten sie

den Künstlern als verlässliche Inspiration

dienen. In Hamburg geriet das Klubhaus St.

Pauli zum idealtypischen Gegenstück der

Elbphilharmonie – und nicht nur wegen

der unterschiedlich zuständigen Musen.

In prominentester Lage leisteten sich die Hamburger

Bürger mit der Elbphilharmonie steuerfinanziert ihr

neues Wahrzeichen. Polyhymnia wird es freuen, denn

sie ist die Muse des Gesangs. In Sichtweite des großen

Konzertgebäudes entstand durch akyol kamps : bbp archi-

tekten fast zeitgleich das kleine Klubhaus St. Pauli. Auch

hier wird gesungen. Doch auf der Reeperbahn geht es

nicht ganz so oft um die klassisch-bürgerliche Hochkultur.

In diesem Konzertgebäude fühlt sich eher Erato heimisch,

die „Sehnsucht weckende Muse der Liebesdichtung“. Das

Problem für Erato und die Architekten: Ihr Musentempel

ist am Spielbudenplatz alles andere als konkurrenzlos

positioniert.

Architektur im Zentrum der Animierungskunst

Denn welche Kultur ist schließlich populärer als die

Animationskultur der Reeperbahn? Und wo haben die

Schaufenster, Auslagen und Werbedisplays einen auf-

dringlicheren Charakter als zwischen Herbertstraße und

Davidwache? Die Investoren des Klubhauses wünschten

sich ein Gebäude, in dem neben dem Kleinkunsttheater

Schmidtchen noch mehrere Musikclubs untergebracht

werden können. Und im Gegensatz zur öffentlich ali-

mentierten Hochkultur ist die Populärvariante auf den

„Return of Invest“ angewiesen. Ein kulturell ambitioniertes

Projekt an dieser hochverdichteten Vergnügungsmeile

kann jedenfalls bestimmt nicht mit den eleganten Mitteln

einer artifiziellen Kulturszene arbeiten und auf ein ver-

ständiges Publikum zählen. Architektur im Zentrum der

Animierungskunst muss sich ans Publikum ranschmeißen.

„Komm‘se rüber, komm‘se rin“ ruft das Klubhaus St. Pauli

den Passanten zu – und arbeitet dabei letztlich mit densel-

ben Methoden wie die Schlepper vergangener Zeiten, die

den einsamen Touristen mit dem Versprechen auf unerhör-

te Erlebnisse ins Etablissement lockten. In seinem epoche-

machenden Buch „Learning from Las Vegas“ stellte der

Architekt Robert Venturi in den 1970er-Jahren fest, dass

sich die Architektur vom Inhalt des Gebäudes emanzipiert

und die Dominanz der Zeichen über die Form einsetzt.

Bedeutung wird nicht mehr mit Raum, sondern stattdessen

mit Medien hergestellt. Auch an der Reeperbahn werben

die Sexshops und Kleinkunsttheater mit überdimensionalen

Symbolen für ihre Angebote. Gerade bei Nacht besteht

nur, wer noch spektakulärer um Aufmerksamkeit kämpft.

Beim Klubhaus ist es die architektonische Medienfassade,

deren wechselnde Bilderwelten um Aufmerksamkeit

buhlen – und sie ist dabei vollständig entkoppelt von den

dahinter liegenden räumlichen Funktionen.

Fassade als Skulptur

Die Architekten entwarfen seriell gestapelte Metallkuben.

Die Versätze dienen als Loggien, Balkons oder Dach­

terrassen. Eine zentrale Gebäudeöffnung über zwei

Geschosse fungiert als Schlund, der die Party-People

von der Straße saugt. Die Metallkuben selbst wurden

mit LEDs bestückt, die hochauflösende Bilder erzeugen

können oder aber flächig in allen Farben erstrahlen.

Durch die chaotisch anmutenden Verschiebungen der

Kuben wird jede Ablesbarkeit von Funktionen ja sogar von

Geschosshöhen bewusst verschleiert. Die Fassade wird

zur reinen Skulptur. Dahinter liegt eine konventionelle

Stahlbetonkonstruktion, deren Rauheit von den Architekten

mit „Loft-Atmosphäre“ beschrieben wird. Sie entspricht

den Anforderungen einer robusten Nutzung durch das

Partypublikum – das in Mengen zu den Konzerten strömt.

So erfolgreich die Philharmonie auch ist, der Tempel der

Muse Erato muss sich jedenfalls nicht vor der Konkurrenz

in der Elbe verstecken.