Wie viele Menschen derzeit in der chinesischen Haupstadt
Beijing leben, weiß niemand so genau. Offizielle Statistiken
der UN rechnen mit rund 11 Millionen Einwohnern und ver-
zeichnen für die vergangenen Jahre nahezu ein Nullwachs-
tum. Doch dies dürfte wie so oft nur die Hälfte der Wahrheit
sein, wuchert doch auch Chinas Kapitale längst weit in ihr
Umland hinein. Beeindruckender noch ist die wirtschaftliche
Entwicklung Beijings: Zwar liegt das durchschnittliche Pro-
Kopf-Einkommen hinter dem der beiden „Boomtowns“
Shanghai und Guangzhou. Doch auch in Beijing hat sich
längst eine Gesellschaftsschicht etabliert, die Ökonomen
ganz ohne negative Untertöne als „newly rich“ (neureich)
bezeichnen. Sie fährt Auto, kauft westliche Designermöbel
und verfügt über ein Einkommen, das dem eines europäi-
schen Arbeitnehmers entspricht – bei deutlich geringeren
Lebenshaltungskosten. Eine Käuferschicht für das Groß-
projekt „Luxuriant City“ war in Beijing also durchaus vorhan-
den. Auf einem Areal von rund 58 Hektar Größe sind in den
vergangenen fünf Jahren mehr als 4,4 Millionen Quadratme-
ter Wohnraum entstanden. Mit einer Geschossflächenzahl
von 7,5 liegt die „Luxuriant City“ eher am unteren Rand des
in Chinas Metropolen Üblichen, die Wohnungsgrößen von 90
bis 140 Quadratmetern Größe liegen dagegen deutlich über
dem Landesdurchschnitt. Zum Vergleich: Noch vor wenigen
Jahren hatte ein Einwohner Beijings durchschnittlich weni-
ger als 10 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung.
Das Areal, ein schmaler Streifen Land von 400 Metern Breite
und mehr als einem Kilometer Länge, gehörte zu kaiserlicher
Zeit zu den besten Obst- und Gemüsegärten der Haupstadt.
Heute hat die Stadtentwicklung das Gebiet längst überrollt,
und nur der majestätische Ausblick auf die nahe gelegenen,
grünen Hügelketten ist geblieben. Östlich der „Luxuriant
City“ rollt der vierte Autobahnring Beijings vorbei; im Wes-
ten schließt sich eine Grünanlage mit Golfplatz an. Somit
war innerhalb der Siedlung in Bezug auf Lärmimmissionen
und Landschaftsbezug ein deutliches West-Ost-Gefälle vor-
handen, das sich nicht ganz zufällig auch mit den für das
Areal zugelassenen Gebäudehöhen deckte. Kijo Rokkaku
entwarf folgerichtig drei unterschiedliche, von Ost nach
West gestaffelte Gebäudetypen: lange und hohe Scheiben-
häuser („wall type“) im Osten, die als Lärmschutzwall zur
Straße hin dienen; zu Clustern zusammengefasste Punkt-
hochhäuser unterschiedlicher Höhe („mountain type“) im
Zentrum und flachere, bis zu siebengeschossige Riegel
(„cloud type“), deren wellenförmige Dächer buchstäblich
aus der Landschaft herauszuwachsen scheinen. Mit den
„cloud types“ bedient Rokkaku nicht zuletzt das Bedürfnis
der Investoren nach einem starken, Käufer anziehenden
Bild: Die Dächer sind üppig begrünt und setzen, obgleich
nicht öffentlich zugänglich, die Grünanlage im Westen
zumindest optisch bis ins Zentrum der Siedlung fort. Die
Bauweise der Häuser entspricht chinesischen Gepflogen-
heiten: Ihre Fassaden bestehen aus geschosshohen, vorge-
fertigten Stahlbetontafeln, die mit Putz, Naturstein und
Fliesen verkleidet wurden. Für filigrane Details blieb dabei
naturgemäß wenig Spielraum. Doch mit der farbenfrohen
Gestaltung und der abwechslungsreichen Gliederung der
Fassaden durch Vor- und Rücksprünge, Erker und eingezo-
gene Loggien tritt Rokkaku den Beweis an, dass auch mit
großindustrieller Bautechnik bewohnenswertere Ergebnisse
erzielt werden können, als dies zu Zeiten des realsozialisti-
schen Plattenbaus üblich war.
Luxuriant City in Beijing
Wer in China Erfolg haben will, muss auffallen: Auch der Wohnungsbau setzt im Werben
um Käufer zunehmend auf starke, zeichenhafte Formen und kräftige Farben. Mit der
„Luxuriant City“ imWesten von Beijing hat der japanische Architekt Kijo Rokkaku sei-
nem Investor beides beschert – und die Landschaft durch üppig begrünte, wellenförmi-
ge Dächer zumindest ein Stück weit in die Stadt zurückgebracht.
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