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38 KLASSISCH: WOHNEN IM EINFAMILIENHAUS IN CELLE

Ein Leben in der „Villa“ gilt ja gemein-

hin als Ziel und Höhepunkt luxuriös-

bürgerlicher Wohnkultur, selbst wenn

der Bausparvertrag am Ende nur für eine

fast schon kuriose Schrumpfversion

dieses Bautyps reicht. Eine Villa in

Norddeutschland interpretierte dagegen

den Bautypus zeitgemäß neu und dennoch

traditionell.

In der Nähe der norddeutschen Provinzmetropole Celle

werden die dringend benötigten „Rohstoffe“ für eine

klassische Villa immer noch reichlich geboten – und der

Architekt Axel Nieberg schuf daraus eine zeitgenössische

Neuinterpretation dieses altvertrauten Bau-Topos. Denn eine

Villa ist ursprünglich das Landgut einer antiken Adelsfamilie,

die das zurückgezogene Leben in der Natur dem städtischen

Trubel vorzieht. Kontemplative Naturnähe ist der Kern der

Villen-Idee, die von römischen Eliten geprägt und von itali-

enischen Renaissance-Architekten verfeinert wurde. Und

alle hatten – neben dem benötigten Budget – vor allem

zwei Dinge zur Verfügung: eine geeignete Bauherrenschaft,

die ihre „verfeinerte Lebensart“ auch in entsprechender

Architektur widergespiegelt sehen mochte – und natürlich

eine ausreichende Menge von „Landschaft“. Denn eine

Landvilla auf einem handtuchgroßen Innenstadt-Grundstück

ist eigentlich ein Anachronismus.

Selbstbewusst luxuriös

Der Hannoveraner Architekt Axel Nieberg jedenfalls fand

ein weitläufiges und sanft hügeliges Grundstück außerhalb

von Celle vor – und darauf einen alten Baumbestand, der

so auch mit viel Gartenbaukunst nicht hätte neu geschaf-

fen werden können. Diese eindrucksvolle Naturkulisse

wurde zum Leitmotiv des kompletten Entwurfs. Die Villa ist

nun subtil in das Gelände modelliert, die neu angelegten

Gartenflächen bleiben deutlich abgegrenzt von der unbe-

rührt bleibenden Natur – und aus nahezu allen Fenstern

fällt der Blick von Bewohnern oder Gästen stets auf ein

dichtes Waldstück oder einen besonders eindrucksvollen

einzelnen Baum. Sogar das Licht über der norddeutschen

Tiefebene wird durch eine langgezogene Dachöffnung ins

Innere des Hauses gelassen und bietet den Bewohnern

einen weiten Blick in den Himmel. Das Haus selbst, seine

Kubatur, seine Oberflächen und die verwendeten Materialien

werden zwar zum Bekenntnis einer durchaus selbstbe-

wusst luxuriösen Lebensart – aber sie sind keineswegs

Ausdruck eines vordergründigen Protzens. Denn Nieberg

verwendete durchweg bescheidene und dem Ort angepasste

Werkstoffe. Die Fassaden sind regionaltypisch verklinkert,

die Wände sind zumeist verputzt, die Böden wurden mit

Eichenholzdielen belegt, und Sichtbetonflächen wurden mit

einer Rauspundschalung hergestellt. Der bewusste Verzicht

auf oberflächlichen Glamour wird zum wahren Ausdruck

eines zeitgemäß luxuriösen Wohnens. Wo künstliches

Licht gebraucht wird, erzeugt Nieberg es mit verdeckten

Linienleuchten. Wo Möbel nötig sind, wurden sie vom

Architekten materialidentisch als Einbaumobiliar realisiert.

Raum im Überfluss

Wirklich im Überfluss gibt es in dieser Villa stattdessen nur

Raum – sowohl außen wie innen. Denn schon der Zugang

erfolgt verdeckt über ein vorgelagertes zusätzliches Atrium,

in dessen Zentrum ein einzelner Ahorn eine fast schon

japanische Atmosphäre erzeugt. Eine schlichte Betonbank

lädt zum Ausruhen ein, und der eigentliche Eingang ins

Gebäude ist mit seiner überaus bescheidenen Tür das blanke

Gegenteil jeder großbürgerlichen Repräsentationsgestik,

wie man sie normalerweise von der Villenarchitektur kennt.

Im Inneren gehen die einzelnen Räume fließend ineinander

über. Für die Kinder entstand ein eigener Wohntrakt, und die

Eltern können sich in ihre Räume im Obergeschoss zurück-

ziehen. Die angeblichen „Stadtvillen“ auf handtuchgroßen

Grundstücken haben den historischen Bautypus zwar bis

zur Unkenntlichkeit verballhornt – die Villa in Celle von Axel

Nieberg ist aber der überaus gelungene Beweis dafür, dass

klassische Villen auch heutzutage immer noch möglich sind.

Monolithische Treppe: Der Aufgang aus Sichtbeton ist indirekt beleuchtet.