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Am 9. Juni 1938, fünf Monate vor der Reichspogromnacht,

wird die Münchener Hauptsynagoge Ohel Jakob (Zelt

Jakobs) an der Herzog-Max-Straße durch die National-

sozialisten mutwillig zerstört. 68 Jahre vergehen.

Gebetshaus und Gemeindezentrum stehen nun am St.-

Jakobs-Platz in direkter Nachbarschaft zu Stadtmuseum und

Viktualienmarkt. Doch die Erinnerung an die Greueltaten

bleibt; plakativ dargestellt in unterschiedlichen, auf Glas

gedruckten Textausschnitten, die das ebenfalls neue und

von der Stadt München getragene Jüdische Museum zeigt.

Der Ruf nach einer neuen jüdischen Mitte – die Gemeinde

ist in den letzten Jahren mit dem Zuzug vieler Juden aus den

GUS-Staaten auf 9000 Mitglieder angewachsen – mündete

2001 in einen zweistufigen Wettbewerb. Auch die

Saarbrücker Architekten Wandel Hoefer Lorch, die sich

bereits mit dem Bau der Dresdner Synagoge einen Namen

gemacht hatten, waren unter den Kandidaten. Ihr Ansatz

überzeugte: Der Entwurf beruht auf einem Ensemble dreier

unterschiedlich großer, rechtwinkliger Baukörper.

Synagoge, Gemeindezentrum und Jüdisches Museum bilden

in geschickter Anordnung eine Abfolge von städtischen

Räumen und Fluchten. Verbindendes Element ist die

Fassadenverkleidung aus Travertin, deren Oberflächen-

beschaffenheit je nach Baukörper differiert: Die Steinplatten

an der Synagoge sind grob gehauen, am Museum geschlif-

fen und am Gemeindezentrum in unterschiedlicher Rauigkeit

gestockt oder gesägt. Das nach Osten ausgerichtete

Gebetshaus ist von allen Baukörpern der kleinste und wirkt

– in Anlehnung an den Tempel Salomons – mit seinem mas-

siven, fensterlosen Sockel wie eine trutzige Festung.

Darüber erhebt sich ein mit einem Bronzegewebe umspann-

ter gläserner und je nach Lichteinfall zwischen hell und dun-

kel oszillierender Kubus. Das Dreiecksmuster der innenlie-

genden Stahlkonstruktion ist der Geometrie des Davidsterns

entlehnt. Diese „textile“ und doch stabile Hülle soll an das

Stiftszelt erinnern, mit dem Moses durch die Wüste zog und

welches die Bundeslade beherbergte. Betreten wird der

Synagogenraum durch das sechs Meter hohe Eingangstor

und den Vorraum, der zugleich zu den Untergeschossen

führt. So abweisend sich das Gebäude von außen darstellt,

so einladend ist es im Inneren: Eine freundliche Atmosphäre

verbreitet das rote Zedernholz der Sitzreihen und Lesepulte.

Die Laterne, deren warmes, gefiltertes Licht den Raum er-

hellt, wirkt wie ein schützendes und gleichzeitig offenes Zelt.

Beim Museum verhalten sich Massivität und Leichtigkeit,

Stein und Glas, in umgekehrter Weise. Das Erdgeschoss

wurde als Fortsetzung des öffentlichen Raumes offen gestal-

tet. Die oberen Geschosse, der Ausstellung vorbehalten,

sind fensterlos. Regelmäßig verteilte Kastenfenster lassen

die Fassaden des Gemeindezentrums, des dritten und größ-

ten Baukörpers, flächig erscheinen. Auf rund 12000 Kubik-

metern Fläche sind unter anderem Schule und Kindergarten,

Gruppenräume, Gästewohnungen, ein Restaurant sowie ein

Veranstaltungssaal für bis zu 500 Personen untergebracht.

Der „Gang der Erinnerung“ mit einem Denkmal von Georg

Soanca-Pollak verbindet Gemeindezentrum und Synagoge

unterirdisch: Auf einem dreifach geschichteten, von hinten

erleuchteten Glasband liest man die Namen der 4500 unter

den Nazis ermordeten Münchener Juden. In die gegenüber-

liegende Wand aus Jerusalemer Kalkstein sind die Worte

„Erinnern – Trauern – Gedenken – Mahnen“, dann „Lernen –

Versöhnen – Sprechen – Leben“ gefräst.

Jüdisches Zentrum am St.-Jakobs-Platz

Synagoge, Gemeindehaus und Jüdisches Museum bilden das 2008 mit dem Deutschen

Städtebaupreis ausgezeichnete Neue Jüdische Zentrum am St.-Jakobs-Platz im

Herzen Münchens. In seiner Größe und Symbolkraft gibt das Ensemble dem jüdischen

Leben den gesellschaftlichen und stadträumlichen Stellenwert zurück, den es vor

Beginn der NS-Herrschaft in München hatte.

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