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Der 12. September 2003 bedeutete nicht nur für Intendanten
und Ensemble des neuen Erfurter Theaters eine Premiere,
sondern für die ganze Region: Es ist der erste derartige Bau
in den neuen Bundesländern seit dem Neubau der Oper
Leipzig 1960 und dem Wiederaufbau der Semperoper im Jahr
1985. In den alten Ländern ist zuletzt 1995 in Kaiserslautern
ein vergleichbar großer Theaterbau fertig worden. Das
„erste deutsche Opernhaus des 21. Jahrhunderts“ (Jörg
Friedrich) war politisch eine schwere Geburt: Warum man
denn nicht das alte Bürgertheater, ein Gebäude von 1894,
sanieren könnte, fragten sich viele Bürger. Doch die
Instandsetzung wäre teurer geworden und räumlich beeng-
ter geblieben. Am Brühl, einem ehemaligen Fabrikareal am
Westrand der Altstadt, waren jedoch in den 90er Jahren
Flächen für einen Neubau freigeworden.
Bühnenbilder statt Büromaschinen
Zu DDR-Zeiten wurden hier Büromaschinen der Marke
„Optima“ hergestellt; heute erhebt sich an gleicher Stelle der
Bühnenturm des neuen Theaters. Vielmehr, er „duckt sich ins
Stadtbild hinein“, wie die Neue Zürcher Zeitung schrieb: Um
in Sichtweite des Mariendoms und der Kirche St. Severi
größtmögliche Zurückhaltung zu üben, wurde der Neubau so
tief als möglich in die Erde verlegt. Die Bühne liegt vierein-
halb Meter unter Außenniveau, darunter befinden sich noch
Proben- und Technikräume – „alles Nutzungen, die über der
Erde mit komplizierter Sicht- und Schallschutztechnik hätten
abgeschottet werden müssen“, so Friedrich. Auch der ober-
irdische Teil des Neubaus passt im Wesentlichen unter das
zwölf Meter hohe Flachdach, das das Gebäude nach oben
abschließt. Seine Position war durch ein städtebauliches
Gutachten bereits vorgegeben: ein frei stehender, von den
Straßen im Süden und Osten zurückgesetzter Solitär. Jörg
Friedrich gab dem Theater einen Quadratgrundriss von 71,5
Metern Kantenlänge und stellte ihm ein weiß verputztes
Atelier- und Werkstattgebäude zur Seite, von dem aus die
Bühne durch einen Tunnel direkt erreichbar ist.
Die Schaufront des Theaters ist eine gebäudehohe und -brei-
te Glasfläche, von schwarzem Basalt gerahmt, hinter der das
Auditorium und die beiden weißverputzten Nebenraum-
spangen zurücktreten. Im Foyer laufen alle Wege zusammen;
von hier führen Wendeltreppen hinunter auf Bühnenniveau
und zum „Theatrium“, einem stufenförmig ansteigenden
Tiefhof im Inneren des Gebäudekomplexes. Diese
Freilichtbühne ist ein Novum in der deutschen Theater-
landschaft, die sich sonst durch die strenge Trennung ihrer
„Häuser“ von den Open-Air-Spielorten auszeichnet. Doch
auch als Pausenzone tagsüber leistet sie gute Dienste.
Ein Schatzhaus für die Darstellende Kunst
Der große, vom Dach und von den umlaufenden Galerien
durch Lichtfugen getrennte Saal fasst 800 Zuschauer, weite-
re 199 finden in der Studiobühne im hinteren Gebäudeteil
Platz. Jörg Friedrich vergleicht den Saal mit einem
Schatzhaus: Der kegelförmige Raum ist aus Ortbeton gegos-
sen und mit schwarzem Marmorputz verkleidet; innen dage-
gen ganz in Karmesinrot gehalten. Um den Zuschauern ein
hautnahes Miterleben des Dargebotenen zu ermöglichen,
sind die Ränge steil gestaffelt, der letzte Rang liegt so ledig-
lich 17 Meter von der Bühne entfernt. Gleichzeitig ist das
Raumvolumen groß genug, um die akustische Empfindung
eines großen Saals hervorzurufen.
Theater in Erfurt
Mit dem neuen Theater des Hamburger Architekten Jörg Friedrich hofft Erfurt,
ein Stück weiter aus dem Schatten der Kultur- und Klassikerstadt Weimar zu
treten. Auch städtebaulich erschließt das auf einer Industriebrache gelegene
Gebäude Neuland. In Sichtweite der Altstadt setzt seine unaufgeregt-moderne
Architektur ein Signal der Erneuerung und kultureller Ambitionen.