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Die Notwendigkeit, dem 1886 von Gottfried von Neureuther

errichteten Akademiegebäude am Münchner Siegestor einen

Erweiterungsbau zur Seite zu stellen, war allgemein erkannt,

studierten an der Kunsthochschule doch längst über 500 statt

der ursprünglich vorgesehenen 300 Studenten. Dennoch lag

der Wettbewerbsentwurf von Coop Himmelb(l)au zunächst

auf Eis und wurde erst 2001 reaktiviert, als der damalige

Akademierektor Ben Willikens persönlich bei Edmund Stoi-

ber intervenierte. 2003 folgte die Grundsteinlegung, und

schon zwei Jahre später war der 19,4 Millionen Euro teure

Erweiterungsbau bezugsreif. Bis 2008, zum 200-jährigen

Jubiläum der Akademie, soll nun auch Neureuthers Neo-

renaissancebau für rund 40 Millionen Euro saniert werden.

Stadträumlich vermittelt der Neubau zwischen der Akade-

mie- und der Türkenstraße im Süden und Westen, dem

Akademiegarten im Norden und dem Altbau der Akademie

im Osten. Ein frei stehendes Glasschild mit meterdicken

Stahlstützen bildet die Straßenfront; ein tischförmiges

Vordach aus massivem Beton markiert den Eingang. Drinnen

empfängt den Besucher ein nicht ganz gebäudehohes,

glasüberdecktes Atrium als „transitorischer Binnenraum“

(Coop Himmelblau) zwischen Stadt und Park. Flankiert wird

es von zwei metallverkleideten Gebäuderiegeln, die in den

Obergeschossen L-förmig ineinander verschränkt sind. Der

Auslobung nach, sagt Wolf D. Prix, hätte es diesen Raum

eigentlich gar nicht geben dürfen. Doch hätte, dürfte, sollte –

um diese Einschränkungen haben sich Coop Himmelb(l)au

bekanntlich noch nie wirklich geschert. Den nur 5660 m²

Nutzfläche stehen in ihrem Neubau 9900 m² Bruttofläche

und 44 761 m³ umbauter Raum gegenüber. Es bleiben also

genug Zwischenräume fürs Soziale, dessen Verlust Prix in

der Architektur des Öfteren beklagt. Sein Neubau empfängt

alle Besucher, vom Jet-Set-Galeristen bis zum Lebens-

künstler auf Hartz-IV-Basis, mit der gleichen legeren Geste,

die ausdrückt: „Macht’s euch bequem!“ Wohnlich wirkt das

auf zwei Ebenen angelegte Atrium schon durch seinen hel-

len Parkettbelag. Dieser setzt sich vor der Eingangsfront

nahtlos in einer Reihe von Studenten und Passanten glei-

chermaßen gern genutzter Sitzstufen fort.

Im Atrium inszenieren Coop Himmelb(l)au eines ihrer Lieb-

lings-Sujets, die sich scheinbar willkürlich kreuzenden Stege

und Rampan. Vier an der Zahl „bevölkern“ den Neubau wie

ein Schwarm riesiger, stählerner Stabheuschrecken. Statt

sie – was eigentlich normal gewesen wäre – auf den beiden

Gebäuderiegeln aufzulagern, stehen sie auf je vier eigenen

Stahlstützen. Einen „spielerischen Umgang mit der Konstruk-

tion“ nennen dies etwas euphemistisch die Tragwerksplaner

Alexander Brachmann und Christian Wendlandt. Einer dieser

Stahlkolosse durchstößt gar das Glasdach des Atriums und

endet im Freien, in einer Fuge zwischen den beiden Gebäu-

deriegeln vor dem Hinterausgang des Rektorats. Der ehema-

lige Hausherr Ben Willikens hat den Neubau treffend als

„Spätlese des Dekonstruktivismus“ bezeichnet; eine schöne

Umschreibung für dessen Architektur, die Anfang der 90er-

Jahre noch avantgardistisch anmutete und heute schon fast

Nostalgiegefühle weckt. Mit den Bauten von Coop Himmel-

b(l)au verhält es sich letztlich wie mit den Konzerten der

Rolling Stones: Laut und schrill sind sie noch immer – und

doch längst Teil des Establishments. Man bewundert die

energiegeladene Darbietung, bestaunt die damit einherge-

hende Materialschlacht und nimmt bei alledem gern in Kauf,

dass vorwiegend Altbekanntes inszeniert wird.

Akademie der bildenden Künste in München

Wer in Deutschland für die öffentliche Hand baut, braucht mitunter einen langen Atem.

Schon 1992 gewannen Coop Himmelb(l)au den Wettbewerb um den Erweiterungsbau

der Akademie der bildenden Künste in München, doch erst Ende 2005 fand die Einwei-

hung statt. Das Gebäude der Wiener Altstars ist eine Reminiszenz an den Dekonstruk-

tivismus früherer Tage und besitzt doch seine eigene, zeitlose Qualität.

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