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BIBLIOTHEKEN
Inseln im Datenstrom
Neben gestalterischen und medientheoretischen Überle-
gungen rückt die Gestaltung von Bibliotheken aber auch
aus einem weiteren Grund in den Fokus aktueller Debat-
ten. Im zeitgenössischen städtischen Umfeld, in dem die
Belange des öffentlichen Raumes mit einem immer stärker
werdenden Privatisierungsdruck und gesellschaftlichen
Kontrollmechanismen kollidieren, die Passagen von
Shopping-Malls zunehmend überwachte Zonen etablieren,
bietet die Bibliothek ihren Nutzern einen geschützten Rück-
zugsort. Der französische Philosoph Michel Foucault be-
zeichnet diese besonderen Zonen als „Heterotopien“,
Räume, in denen gewohnte gesellschaftliche Regeln außer
Kraft gesetzt sind, in denen eigene Gesetze herrschen.
Bibliotheken bilden in diesem Sinne inklusive Orte, Orte,
an denen Kontemplation und kreativer Widerstand möglich
werden und in denen sich das Wissen keinen Zwängen
unterwerfen muss: In ihnen manifestiert sich das Ideal
gesellschaftlicher Teilhabe.
H.G. Wells Glaube an wissenschaftliche Segnungen, wich
zum Ende seines Lebens kolossaler Ernüchterung. Seines
Erachtens machte die zunehmende Komplexität und Un-
übersichtlichkeit der modernen Welt produktiven geistigen
Fortschritt unmöglich. Vielleicht würde er seine Meinung
heute ändern, denn trotz der unermesslichen globalen Da-
tenflut existieren noch immer Orte, an denen Nachdenken,
Kontemplation und Muße möglich sind.
In der surreal anmutenden Architektur der Google-Datenzentren steht die
Maschine im Mittelpunkt. Mehr als 2,26 Milliarden Kilowattstunden Strom
verbrauchten diese Einrichtungen im Jahr 2010, das entspricht in etwa
dem Stromverbrauch einer Stadt mit 200.000 Einwohnern (diese und
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