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MÜNCHEN LEIDET

Wenn die Stadtwerke, der Kulturdezernent oder das

Architekturfeuilleton etwas Günstiges über München sch-

reiben wollen, fällt ihnen unvermeidlich Thomas Mann ein.

Seine ironische Novelle beflügelt seit Generationen die

Journaille und die Werbeagenturen, „München leuchtet“

ist eine dankbar verwertbare Überschrift. Zwar setzte Mann

seinen ersten Satz in „Gladius Dei“ ins Imperfekt, aber gera-

de die aktualisierte Behauptung als zeitlose Befindlichkeit

sagt etwas über den unantastbaren Stolz der Münchner

über ihre Stadt: Hier leuchtet’s eben, und wer das nicht

kapiert, soll sich heimleuchten lassen.

Bauen, Wohnen und Architektur

Wenn man einige Jahrzehnte in der Stadt lebt, weiß man

um die traditionellen bürgerlichen Standards, um die uns

andere beneiden. Pech, wer sie nicht erreicht hat oder nicht

teilen mag. Denn die Attraktion ist ungebrochen, München

wächst von allen deutschen Großstädten am schnellsten,

zwischen 2006 und 2012 um 100.000 Einwohner. Für die muss

gebaut werden. Und damit kommen wir zur Architektur.

Denn Bauen, Wohnen und Architektur sind drei Begriffe, die

in München nur marginal miteinander zu tun haben. Knapp

8.000 Wohnungen wurden 2013 fertiggestellt, doch die zwei-

jährigen Expertenbefragungen der Stadt beweisen, dass die

Nachfrage unvermindert anhält und die Grundstückspreise

einer soliden Aufwärtskurve folgen. Der durchschnittli-

che Kaufpreis für eine Eigentumswohnung liegt bei 5.000

Euro pro Quadratmeter. Wer einen gediegenen Altbau in

Nymphenburg oder Bogenhausen sucht, muss zwischen

7.000 und 10.000 Euro für den Quadratmeter hinlegen. Soviel

zum Bauen und Wohnen.

Biederer Pragmatismus

Dass Investoren in dieser prekären Situation besondere

Kunststücke vollbringen, um preiswerten, avantgardisti-

schen Wohnungsbau zu erfinden, lässt sich nicht feststellen.

In München gilt es als ehernes Gesetz, dass auf teuren

Grundstücken auch teuer gebaut wird. Es heißt, für eine

Zweitwohnung in einem Penthouse bezahlen München-Fans

auch 15.000 bis 20.000 Euro – pro Quadratmeter. Normal

verdienende Familien gehen leer aus. Deshalb zählt jede fer-

tiggestellte durchschnittliche Behausung bereits als Erfolg.

Die Stadt rühmt sich dabei ihres Finanzierungsmodells,

der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN). Sie ver-

pflichtet seit 1994 die Planungsbegünstigten, die von der

Bodenwertsteigerung profitieren, sich an den Folgekosten

der Baumaßnahmen zu beteiligen und außerdem ein Drittel

der Neubauten für Wohnungssuchende mit mittleren

und unteren Einkommen vorzusehen. Das als Münchner

Mischung (oder „München Modell“) in der Fachliteratur

beschriebene Verfahren zeigt ein sichtbares Resultat: Auf

den Konversionsflächen und Stadterweiterungsgebieten ist

eine banale Architektur entstanden, die niemanden neidisch

macht. Sie zählt zur Bilanz der ehemaligen Baustadträtin,

die sich mit ihrem biederen Pragmatismus den Investoren

angedient hat. Ihre größte Sorge war, die Interessenten

könnten abspringen und nicht bauen. Also wurde ihnen

gestattet, städtebauliche Wettbewerbe in marktkonforme

Bebauungen mit mangelhafter Infrastruktur zu übersetzen.

Es sind Quartiere, die daherkommen wie Musterschauen für

Wärmedämmverbundsysteme. Manchmal hat sich ein passa-

bles Einzelstück unter die blassen Wohnzeilen verirrt – arme

Architekten! Doch Mieter und Käufer sind heilfroh, wenn sie

überhaupt etwas finden, da werden sie keine Bedingungen

stellen. In München genügt eine U-Bahn in Rufweite, dann

kann man mit dem Bauen überhaupt nichts falsch machen.

Erhalt des Stadtbilds

Denn das will man nicht: etwas falsch machen. Als der

2005 ausgelobte Wettbewerb für die Werkbundsiedlung,

den der Japaner Kazunari Sakamoto mit einem unge-

wöhnlichen städtebaulichen Konzept gewonnen hatte,

erste Anzeichen des Scheiterns zeigte, kommentierte der

Werkbundvorsitzende Hannes Rössler, dass man bewusst

die Grenzen des Üblichen habe überschreiten wollen:

„Und ich glaube, das ist es, was wirklich Probleme verur-

sacht.“ Seine Ahnung sollte sich bestätigen, es gibt keine

Werkbundsiedlung. Und keine Hochhäuser, die mit der