Background Image
Previous Page  8 / 36 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8 / 36 Next Page
Page Background

Es mag Zufall

sein, dass genau 50 Jahre nach dem Bau der

Mauer der in ihrem Schatten gelegene Moritzplatz auf West-

berliner Gelände, wieder langsam an Bedeutung gewinnt.

Zwei ganz unterschiedliche Geschäftsleute mit einer gemein-

samen Vision gehören zu den Pionieren. Brachflächen, ver-

nachlässigte Wohnsiedlungen mit hohem Leerstand, übten

schon immer eine gewisse Faszination auf Kreative aus. Das

machte den Investor Matthias Koch und Andreas Krüger,

Inhaber des deutschlandweit unter Architekten und Modell-

bauern bekannten „Modulor“, auch so sicher, dass ihre Idee

von einem Kreativhaus gelingen muss. Als das ehemalige

Bechsteinhaus an der Ecke Prinzenstraße/Oranienstraße

zum Verkauf stand, griffen die beiden zu.

Der typische 1970er-Jahre-Gewerbebau mit einer Fassade

aus Waschbetonfertigteilen und einem umlaufenden Fens-

terband mit rötlich schimmerndem Glas hat während seiner

knapp 40-jährigen Existenz gleich mehrmals den Besitzer

gewechselt. Einer davon war die weltberühmte Klavier-

fabrik Bechstein, die bis zuletzt dem Haus als Namensge-

berin erhalten blieb. Mit dem Umbau wurden die Berliner

Architekten Clarke und Kuhn beauftragt, die eine Entker-

nung des alten Fabrikgebäudes und eine bauliche Ergän-

zung vorschlugen. Andreas Krüger beanspruchte viel Raum

für seine Geschäftsidee „Planet modulor“, einem neuarti-

gen Verbund von kleinen und mittleren Unternehmen aus

Handel, Handwerk, Kunst und Kultur. Matthias Koch plante

für den zuvor aus der Insolvenz geretteten Aufbau Verlag

die beiden obersten Geschosse ein. Das Theater „Aufbau

Kreuzberg“ und der „Prince Charles Club“, eine Galerie

und ein Buchladen sollten ebenfalls auf seine Initiative hin

im Haus Platz finden.

Clarke und Kuhn gelang es, die zwei unterschiedlichen

Raumprogramme geschickt miteinder zu verknüpfen. Sie

setzten dem Altbau entlang der Prinzenstraße einen schma-

len, auf das Tragwerk reduzierten Gebäuderiegel vor, der

mit einem Kopfbau zum Moritzplatz überleitet und damit die

Haupterschließung klar definiert. Wie in einem übergroßen

Regal können sich die Kreativen hier auf sechs Ebenen

präsentieren, sowohl zur Straße als auch zur begleitenden

Stadtterrasse zwischen beiden Bauteilen. Dass die Idee

nicht nur eine Generation überdauert, dafür sorgt „Wild-

fang“, der Kindergarten auf dem Dach des Hauses. Das

sorgfältig durchdachte raumpädagogische Konzept reali-

sierte Janson Danzinger von thinkbuild architecture. Als

Inspiration für die farbliche Gestaltung diente ihm das Bau-

haus, insbesondere die Farbenlehre nach Johannes Itten.

Der Anstrich der Räume sollte so weit wie möglich die Be-

ziehung zur Natur herstellen, die durch die vorgegebenen

Raumbedingungen stark eingeschränkt ist. Für das längliche

Rechteck mit hohen Decken und nur wenigen Fenstern war

vor allem auch die Qualität und Quantität der Beleuchtung

von besonderer Bedeutung.

Mit einer guten Idee, viel Engagement und einem verbinden-

den Neubau gelang es Planern wie Initiatoren, einem in sei-

ner Bedeutung fast vergessenen Ort in der Mitte von Berlin

wieder zu mehr Attraktivität zu verhelfen.

08

Am Moritzplatz in Berlin ist ein Zentrum für professionelle Kreative entstanden, ein

Projekt, das es in dieser Form bislang noch nicht gab. Aus der Initiative, innerstädti-

sche Bestandsbauten an einem vernachlässigten Ort sinnvoll zu nutzen, gelang zwei

Geschäftsleuten und den Architekten Clarke und Kuhn ein Neuanfang, der dem Bezirk

Kreuzberg wichtige Impulse gibt.

AUFBAU HAUS IN BERLIN