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Wende“ ist historisch ohne Beispiel. Diese Verdichtungsauf-

gabe fällt nicht zuletzt dem Hochhaus zu. Die traditionelle

Hochhauskritik scheint von der Hypothese auszugehen, die

Typologie der Wolkenkratzer sei weder veränderbar noch

entscheidend optimierbar. Tatsächlich ist eine differenzierte

Weiterentwicklung von Hochhaus-Konzepten der Zweiten

Moderne zu beobachten. Kaum ein Hochhaus lässt sich mit

funktionalen oder finanziellen Vorteilen rechtfertigen.

Dennoch führen weder wirtschaftliche Krisen noch blutige

Katastrophen und Attentate zu einem Verzicht auf den gla-

mourösen Bautypus. Die uralte Machtsymbolik der Größe,

die identitätsstiftende Funktion der prägnanten Form, die

politische Brisanz des unübertroffenen Bauwerks haben

im Laufe der Geschichte nichts an Kraft eingebüßt.

Neue Typologie

Frei nach den utopischen Wolkenbügeln El Lissitzkys aus

dem Jahr 1924 zeigen die ursprünglich als Stahlbau ge-

planten Kölner Kranhäuser eine neue Typologie des Hoch-

hausbaus. Anders als beim reinen Büroturm entsteht in der

Kombination von vertikalen und horizontalen Gebäudeteilen

ein urbanerer Typ von geringerer Höhe (55,50 Meter), dabei

aber deutlich größeren und flexibleren Nutzflächen. Die

ökonomischen Zwänge zwischen Nutz- und Verkehrsfläche

im konventionellen Hochhausbau werden dabei mit 1.600

Quadratmetern Bürofläche pro Etage völlig aufgehoben.

Paris hat sich seine bahnbrechenden Ordnungspunkte in-

nerhalb der revolutionären Systematik Haussmanns mit

„Grands Projets“, großartigen Bauten, geschaffen. Stadt

hat immer eine utopische Dimension, schon weil sie sich

der natürlichen Ordnung widersetzt. Die wesentliche Rolle

der Architektur ist es, eine distanzierte und emanzipierte

Position zur Gegenwart einzunehmen. Über ökonomische

Effi-zienz und traditionelle Nüchternheit hinaus wird Urbani-

tät bestimmt durch gesellschaftliche Räume, innovative

Milieus und intellektuelle Atmosphäre. Eine gründerzeitlich

geeichte Traufhöhe ist dafür nicht immer der geeignete

Weg. Je deutlicher sich Architektur vom Gleichmaß der

Stadt abhebt, um größer die resultierende Bildqualität und

der Identifikations-wert. Städte brauchen neben ihrem

gleichförmigen Rhythmus auch Ereignisse, die sie unter-

scheidbar machen, die Begeisterung auslösen. Die größere

Bauhöhe des Hochhauses ist dafür prädestiniert. Mit dem

Überblick und der Fernsicht aus Hochhäusern gewinnt die

Stadt zudem eine Perspektive für ihre kritische Innenansicht

und Selbstbetrachtung. Im Jahr 2007 ist die Menschheit zu

einer urbanen Spezies geworden. Mehr als die Hälfte der

Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Jedes Jahr wächst

die Einwohnerzahl der Städte auf der Erde um 60 Millionen

Menschen. In nur zwei Jahrzehnten werden vermutlich zwei

Drittel aller Menschen Stadtbewohner sein – trotz des enor-

men Bevölkerungszuwachses insgesamt. Die „urbane

Auch Hochhäuser als die stolzen Ikonen jeder Metropole passen sich den Lebens-

bedingungen der Stadtbewohner an. Sie definieren sich nicht mehr allein über die

Anzahl der Geschosse und die Monotonie ihrer Funktion. Klaus-Dieter Weiß, Architek-

turkritiker und Fotograf, zeigt die Entwicklung von der ganz großen Höhe zum annehm-

baren Maßstab an zwei markanten Beispielen auf.

HOCHHÄUSER

VOM HÖHENRAUSCH ZUR STADTIDEE

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