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SCHÖRGHUBER

Vorurteile begleiten die Roma seit jeher. Wie bei vielen Minderheiten auch ist einer

der größten Vorwürfe, der ihnen gemacht wird, ihr mangelnder Wille zur Integration.

Auch die – politisch unkorrekt – oft als Zigeuner-Paläste bezeichneten Prachtbauten

in Rumänien schüren den Argwohn der einheimischen Bevölkerung. Wie und vor

allem wozu bauen die eigentlich als „arm“ bekannten Roma solche Prachtbauten?

Besondere Häuser

Repräsentation – Mehr schein als Sein?

Ein vieldiskutiertes Thema unter Wissenschaftlern ist

die Frage, auf welche Weise individuelle und kollektive

Identität entsteht. Hierzu gibt es viele Theorien. Auch die

Architektur spielt hierbei eine Rolle. Immer wieder zeigt

uns die Geschichte, wie durch Architektur eine Identität

geschaffen oder zumindest vorgetäuscht werden soll. Das

jüngste Beispiel: China versucht, sich durch prestigeträch-

tige Bauten ein modernes Image zu verpassen, bricht dafür

aber mit über Jahrhunderte gewachsenen Traditionen.

Architektur steht immer für etwas – für Wohlstand, für

Erfindergeist, für Macht. Oft genug soll sie auch ein star-

kes Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Besonders deutlich

wird dies bei den sogenannten „Zigeuner-Palästen“ in

Rumänien – den Prachtbauten bestimmter Roma-Gruppen.

Sie entstanden in den letzten 20 Jahren in ganz Rumänien

im ländlichen wie im städtischen Bereich und haben einen

bleibenden Eindruck hinterlassen. Gemein ist ihnen, dass

sie auffallen: mit prunkvollen Verzierungen, verspielten

Details und farbenfrohen Fassaden. Doch es ist nicht das

Äußere, das den Charakter dieser Gebäude ausmacht.

Es ist ihre Nutzung, die bei den Gadje – wie Nicht-Roma

in Romani heißen – für ungläubiges Kopfschütteln sorgt.

Beziehungsweise: die Nichtnutzung. Viele der ein- bis vier-

geschossigen Gebäude weisen keine Nutzräume wie Küche

oder Bad auf, die im Alltag und für das Wohnen eigentlich

unerlässlich sind. Gibt es diese Räume doch, sind sie oft frei

von tatsächlicher Nutzung oder gar Funktion und vielmehr

zu rein dekorativen Zwecken entworfen. Gewohnt und vor

allem gelebt wird im Souterrain oder in einem zusätzlichen

Gebäude hinter dem Haus. Selten finden sich dort auch

traditionelle Zelte, wie ich sie immerhin vor einigen Jahren

einmal in Tintesti nahe Bukarest zu Gesicht bekam.

Rein und Unrein

Warum aber bauen die Roma so großzügig und nutzen

diese Räume dann nicht im herkömmlichen Sinne? Zunächst

drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hierbei um einen

Übergangsprozess vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit

handelt. Ausgerechnet die sehr traditionell ausgerichte-

ten Kalderasch gehören zu den aktivsten Erbauern der

Zigeuner-Paläste. Anthropologisch betrachtet können an

dieser Bevölkerungsgruppe viele spannende Fragen erörtert

werden: Warum bauen Menschen, die in ihrer Geschichte

kaum sesshaft waren? Und: Was am Bauen ist für sie

eigentlich wichtig? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf

es etwas Hintergrundwissen über die Kultur der Roma: Es

ist vielleicht nicht vielen bekannt, doch eine besonders

wichtige Rolle spielt die Dichotomie von „rein“ (vujo ) und