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grund. Aber es gibt noch eine weitere geheime Kraft, die
mir hilft, aus der zweidimensionalen Kino-Welt eine schein-
bar dreidimensionale zu machen: die Film-Architektur, das
Set-Design. Hier gilt die gestalterische Sorgfalt nicht dem
Verstecken der Wärmedämmung, nicht der Qualität der ver-
bauten Materialien und auch nicht der energetischen Effi-
zienz einer Fassade, sondern der Herstellung der Illusion von
Raum und der Glaubwürdigkeit dieser erfundenen Welten.
Im Kinofilm „Für den unbekannten Hund“, den ich 2007 zu-
sammen mit meinem Bruder verwirklichen konnte, ist Raum
sogar das zentrale Thema, genauer, die Überwindung des
Raumes. Es geht um einen Wandergesellen und seinen
Weg zur Selbsterkenntnis.
Bastian, ein 20-jähriger Betonbauergeselle aus Wismar, er-
schlägt ohne erkennbares Motiv einen Stadtstreicher. Der
Totschlag bleibt ohne Strafe, der Täter ohne Reue. Wenige
Wochen später feiert eine Gruppe Wandergesellen in der
Kleinstadt ein Fest. Als ein Zeuge des Totschlags versucht,
Bastian zu erpressen, nutzt der seine Chance zur Flucht und
schließt sich den reisenden Gesellen an. Durch das Leben
auf der Straße und das Zusammentreffen mit fremden Le-
bensentwürfen und Kulturen während der Walz erkennt
Bastian seine Schuld. Seine Wanderschaft wird zur Suche
nach Wegen der Wiedergutmachung.
Die Gestaltung von Fassaden, die farbliche und räumliche
Behandlung ihrer Form und Oberflächen ist ein wichtiger Teil
der Filmarchitektur, aber natürlich nicht der einzige.
Fassade. Das Wort hat in Deutschland keinen schönen Klang.
Von „vorne hui, hinten pfui“ bis zu den „Potemkinschen
Dörfern“, von „Fassaden-Kosmetik“ bis „Fassaden-
architektur“, der Fassade wird nicht getraut. Das Ganze
riecht nach Schminke, Botox und Faltencreme.
Alles Fassade eben. Dahinter darf man Siechtum, Verfall und
Verderbtheiten jedweder Art vermuten. Kein Wunder, dass
die rigorosesten der Bauhaus-Modernisten sie gleich ganz
abschaffen oder ihre Existenz, wenn überhaupt, nur noch als
gläserne Fassade dulden wollten, hinter der es sich weder
mauscheln noch unsittlich betätigen lässt.
Fast wirkt es ein bisschen unmoralisch, sich über Fassaden
Gedanken zu machen. Den schönen Schein ernst nehmen,
über die Lüge vielleicht sogar etwas Positives schreiben,
darf man das? Ich darf. Weil ich mich mit Lügen auskenne.
Quasi berufsmäßig. Ich mache Filme. Oder, wie es bürokra-
tisch-korrekt heißen müsste: Ich bin als Autor, Regisseur und
Produzent von Kino-Spielfilmen tätig.
Dass im Kino nur gelogen wird, das weiß jeder. Der interstel-
lare Kampfstern ist eine Plastikkugel, der Jesus-Darsteller
überzeugter Atheist und die altrömische Gladiatorenschule
ein Hollywood-Hinterhof. Aber bitte, seid dem Kino nicht
böse, es kann nicht anders, es ist zum Lügen verurteilt. Im
Kino muss alles Fassade bleiben. Es fehlt der Raum, die dritte
Dimension. Als Zuschauer starre ich auf eine zweidimen-
sionale Leinwand und erst das Licht und mein Hirn erfinden
sich daraus Größen, Volumen, Vordergrund und Hinter-
Fassaden beschäftigen nicht nur Architekten und Bauausführende. Für Kulturschaf-
fende, speziell auf der Bühne und im Film, sind Produktionen ohne „Fassade“ gar nicht
denkbar. Die Filmemacher Dominik und Benjamin Reding wissen, wovon sie spre-
chen. Sie betreiben gemeinsam in Berlin die Filmproduktion (Eye! Warning). Die Au-
toren lassen die PORTAL-Leser einmal hinter die Kulissen schauen.
FILMARCHITEKTUR
ALLES FASSADE
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