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IM WENDEKREIS DES AUTOS:

DAS AUTOMOBILE JAHRHUNDERT IN DER ARCHITEKTUR

Walter Gropius, Le Corbusier und Buckminster Fuller haben selbst welche entwor-

fen. Andere Architekten und Stadtplaner mühten sich zeitlebens, es in die Schranken

zu verweisen: Die Rede ist vom Auto, dem Fortschritts- und Wohlstandssymbol des

20. Jahrhunderts und dem bis heute wichtigsten Garanten für individuelle Mobilität.

Welche Auswirkungen die Erfindung von Gottlieb Daimler auf die Architektur der

letzten 100 Jahre gehabt hat, resümiert Dr. Herbert Keck von der Technischen

Universität Wien in seinem Beitrag.

Autos sind nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch

Bestandteil des Wohnens. Das Auto ist vielleicht der intims-

te Wohnraum überhaupt. Inmitten der Öffentlichkeit gehört

er ganz dem Insassen. Wahrscheinlich deckt der „Auto-

raum“ ein archaisches Grund- und Sicherheitsbedürfnis ab.

Er ist Blechkleid und Urhütte zugleich. Viel eindeutiger als

beim Wohnen ist die Entscheidung für eine bestimmte

Automarke eine kulturelle Status- und Rollendefinition.

Jeder wohnt, aber ihre gesellschaftliche Position definieren

viele mit der Markenwahl ihrer Autos.

Von seiner Erfindung an war das Automobil für die Archi-

tekten der Moderne eine starke Inspiration. Einige von ihnen

versuchten sich sogar als Auto-Designer. So existiert unter

anderem ein aus dem Jahr 1923 von Adolf Loos stammender

Entwurf für einen Lancia, der etwas wie ein Militärfahrzeug

aussieht, weil dieser offenbar übersehen hatte, dass dünnes

Karosserieblech in alle Richtungen biegbar ist. Le Corbusier

wiederum entwarf einen Kleinwagen mit Heckmotor, in der

Form nicht unähnlich einem VW-Käfer, wobei Letzterer im

Unterschied zu Le Corbusiers Auto wesentlich erfolgreicher

war. Wenigstens einige Male gebaut wurde ein 1933 von

Walter Gropius entworfenes Adler-Cabriolet, das gemäß

dessen Grundsätzen aus der Funktion heraus entwickelt

war. Insbesondere besaß es perfekt ausgeklügelte

Liegesitze. Freilich nahm es sich etwas altertümlich aus,

wenn man es mit dem etwa zur gleichen Zeit entstandenen

Dymaxion Car des Konstrukteur-Architekten Richard

Buckminster Fuller vergleicht. Das Dymaxion Car war im

Grunde die Adaption eines Flugzeugrumpfes für den

Straßenverkehr, hatte drei Räder, Heckmotor und eine kom-

promisslos aerodynamische Karosserie. Von einem

Düsenantrieb hatte Fuller schließlich abgelassen.

Bei keinem Architekten der Moderne manifestierte sich die

Vorliebe für das Automobil jedoch auf derart tief greifende

Weise wie bei Le Corbusier. Ständig verglich er Häuser mit

Autos. Nicht nur postierte er auf Fotos oft Autos vor seinen

Bauten, in „Vers un Architecture“ stellte er zeitgenössische

Autos sogar griechischen Tempeln gegenüber. Seine

Citrohan-Häuser tragen nicht zufällig in einem Wortspiel den

Namen eines französischen Automobilproduzenten. Was Le

Corbusier an Autos vor allem bewunderte, war der rationali-

sierte industrielle Fertigungsprozess, aus dem sie hervorgin-

gen. Seine zur Ikone der modernen Architektur gewordene,

1931 entstandene Villa Savoye in der Nähe von Paris wurde

zum ersten vom Automobil determinierten Bauwerk. Das

sich ihr nähernde Auto fährt unter dem an drei Seiten

zurückgesetzten Obergeschoss vor. Zwischen den Stützen

und dem abgerundeten, verglasten Erdgeschoss ist gerade

Platz für die Autozufahrt. Am Scheitelpunkt der Kurve liegt

der Eingang. Die Insassen werden so an der Hauptachse

des Hauses abgesetzt, bevor der Chauffeur den Wagen, der

Kurve folgend, auf einem der drei offenen Garagenplätze,

die diagonal angeordnet sind, abstellt. Der Wendekreis des

Autos ergab die Dimensionen des Hauses. Die Unterbrin-