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Nach Veröffentlichung der Pisa-Studien in den Jahren

zwischen 2001 und 2006 ist das Vertrauen vieler Eltern in

das öffentliche Schulsystem stark gesunken. Besonders

bei Eltern, die der Mittelschicht angehören, steigt die

Nachfrage nach privaten Bildungseinrichtungen . Zu den

sogenannten Ersatzschulen, die den Lehrplänen der staat-

lichen Schulen angeglichen sind, zählen auch die Waldorf-

schulen. Sie wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts

von dem aus Österreich stammenden Rudolf Steiner ins

Leben gerufen. Die ihr zugrunde liegende Weltanschauung

polarisiert allerdings bis heute. Dennoch gefällt vielen

Eltern nach wie vor der ganzheitliche Ansatz mit anthropo-

sophischer Prägung. Über Schülermangel können sich die

„Waldörfler“ jedenfalls nicht beklagen.

Im Freiburger Stadtteil St. Georgen wurde 2009 die aus

den 80er- beziehungsweise 90er-Jahren stammende

Waldorfschule um einen Neubau erweitert. Er ergänzt das

Raumprogramm um eine dreigeschossige Spange mit elf

Klassenzimmern und einem großen Veranstaltungssaal.

Die Lehre vom Streben nach Harmonie in Bezug auf das

Individuum und die Welt haben, laut Steiner, auch die

Schulbauten auszudrücken. Eine bestimmte Architektur-

sprache ist zwar nicht vorgeschrieben, aber auf den rech-

ten Winkel sollte möglichst verzichtet und stattdessen flie-

ßenden Formen der Vorrang gegeben werden. Die Stutt-

garter Architekten LRO – Lederer + Ragnarsdóttir + Oei

entwarfen im Auftrag des Waldorfschulvereins Breisgau

einen polygonal rhythmisierten, weiß verputzten Baukör-

per, dessen Nordfassade von geschossweise variierenden

Fensterbändern strukturiert ist. Die hier gelegenen Klas-

senräume erhalten dadurch blendfreies Nordlicht. In die

Wände des nach Süden ausgerichteten, zweigeschossi-

gen Saals sind dagegen unregelmäßig kleine Fenster-

öffnungen gesetzt, die mit ihren an der Außenfassade vor-

gesetzten, farbigen Glasscheiben im Innenraum eine intro-

vertierte Stimmung erzeugen. Mit dem Sonnenlicht wan-

dern die nach innen farbig reflektierenden Flecken auf

dem Boden und entlang der Wand.

Die auf- und abschwingenden Binder der mehrfach ge-

neigten Deckenkonstruktion geben dem Saal eine plas-

tisch bewegte Untersicht. Sie finden in den gewölbten

Traufkanten des Dachabschlusses ihre äußere Entspre-

chung. Die geschwungenen Dachflächen differenzieren

zusätzlich den Baukörper und ermöglichen gleichzeitig

eine einfache Ableitung des Regenwassers über Wasser-

speier. Zwischen Saal und Klassentrakt finden noch zwei

Eurythmieräume Platz, die überwiegend über Lichtkup-

peln mit Tageslicht versorgt werden. Eurythmie, eine

Darstellungsform aus Tanz und Gebärden, ist Pflichtfach

im Lehrplan der Waldorfschulen wie Mathematik und

Deutsch. Ein kleiner Lichthof verbindet beide Räume und

ermöglicht jeweils einen Zugang ins Freie. Verputzte

Wände, Sichtbetontreppen und Parkettböden aus geölter

Eiche prägen die innere Materialität im gesamten Neu-

bau. Im Gegensatz zu den sich eher duckenden Be-

standsbauten schiebt sich das strahlend weiße Gebäude

nah an die Straßenkreuzung heran und rückt so die ge-

samte Schulanlage mehr in das öffentliche Interesse.

Mit dieser geschickten Positionierung konnte auf dem

Schulgelände ein großzügiger und zugleich geschützter

Freibereich entstehen, der sich zu den Klassenräumen

des Neubaus orientiert.

Waldorfschule in Freiburg

Auf die Besonderheit der Waldorfschulen, in ihrer Architektur möglichst keine

rechten Winkel anzuwenden, hat das Stuttgarter Architekturbüro Lederer +

Ragnarsdóttir + Oei gekonnt reagiert. Im südbadischen Freiburg ergänzte es eine

bestehende Schulanlage aus den 80er-Jahren um einen weißen Solitär, in dem

Unterrichtsräume und ein Veranstaltungssaal Platz finden.

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