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An der Planung der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen waren die

Schüler unter Anleitung des Architekten Peter Hübner beteiligt.

(zitiert nach E. Inckemann: Die Rolle der Schule im sozialen

Wandel. Bad Heilbrunn, 1997, S. 187).

Entsprechend dem republikanisch-(sozial-)demokratischen

Anspruch der Weimarer Republik wurde auch das Bil-

dungssystem den neuen gesellschaftlichen Idealen ange-

passt: Zum ersten Mal gab es eine Grundschule für alle –

ein erster Schritt zur Aufhebung der Klassenschranken.

Dieser Reformgedanke zeigte sich auch in den neu gebau-

ten Schulen. Die architektonische Moderne ist zum Bei-

spiel an Ernst Mays Reformschule am Bornheimer Hang in

Frankfurt am Main (1930) abzulesen oder gemäßigter in den

zahlreichen Schulen in Hamburg, die Fritz Schumacher als

städtebauliche Ordnungsinstrumente entwarf. Die Lebens-

reformbewegung, die schon um 1900 begonnen und beson-

ders die Erziehung Jugendlicher im Blick hatte, war immer-

hin spürbar, wenn auch noch nicht weit verbreitet. Es ent-

stand zum ersten Mal ein Schulsystem, das auf einer vier-

jährigen Einheitsschule aufbaute, acht Jahre Schulpflicht

vorgab und schulische Fortbildung bis zum 18. Lebensjahr

ermöglichte. Mittelschulen und Gymnasien waren integra-

ler Teil des Systems; private Schulen mussten vom Staat

genehmigt werden. Das Bildungssystem, das mit der Geburt

des Individuums die Lebenschancen festlegte, gab es theo-

retisch nicht mehr. Klar war aber auch, dass die formale

Öffnung der Schule für alle erst noch gesellschaftliche

Wirklichkeit werden musste.

Das westdeutsche Bildungssystem nach 1945 baute auf

den Grundstrukturen der Weimarer Republik auf. Das be-

deutete: Kulturhoheit der Länder, Dreigliedrigkeit des Bil-

dungssystems mit vierjähriger Grundschule und das Be-

rufsbeamtentum der Lehrer. Obwohl Diskussionen und

Reformansätze weitergingen, wurden parallel zur Restau-

rationsphase der Republik die als überholt geltenden

Schulformen nach und nach wieder zurückgeführt, indem

die ehemaligen Lehrer wieder Anstellungen fanden und

die alten Schulbücher weiterhin den Lehrstoff vermittelten.

Dass die Zeit des Nationalsozialismus im Unterricht häufig

nicht behandelt wurde, wie die mittleren Generationen

bezeugen können, ist ein Beleg dafür, wie – durchaus im

Einklang mit der Gesellschaft – diese Zeit verdrängt wurde.

Die DDR dagegen ging mit der Einrichtung einer zehnjähri-

gen Einheitsschule einen anderen Weg.

Trotzdem wurden die Übergangsmöglichkeiten und die

Durchlässigkeit zwischen den Schulformen wesentlich

verbessert. Statt der Zuweisung durch den Lehrer oder

das Bestehen einer Aufnahmeprüfung wurde eine För-

derstufe nach der Grundschule eingeführt. Dazu kam der

Umschwung im Bewusstsein der Bevölkerung, die Bil-

dung nicht mehr als Privileg einer bestimmten Gesell-

schaftsschicht oder des Geldes sah, sondern als selbst-

verständliches Recht für alle. Mitte der 60erJahre lebte

in Westdeutschland die Diskussion um das Bildungssys-

tem erneut auf, weil die Schwächen deutlich wurden.

FREUNDLICHE LEHRMEISTER

WIE SICH SCHULREFORMEN AUF DIE ARCHITEKTUR AUSWIRKEN

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Foto: plus + bauplanung, Neckartenzlingen